»Ein Stückchen Heiligenschein«
Gründungspräsident Ernst Ulrich von Weizsäcker über 20 Jahre Wuppertal Institut
ND: Das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie feiert heute mit einem Kongress seinen 20. Geburtstag. Von der Gründung bis zum Jahr 2000 waren Sie dessen Präsident. Wie hat sich das Kind – Ihr Kind! – entwickelt?
von Weizsäcker: Eigentlich erstaunlich gut – was am Anfang wohl niemand erwartete. Schon nach wenigen Jahren war das Institut weltweit bekannt.
In Wuppertal geprägt wurden Begriffe wie »Ökologischer Rucksack«, »Faktor 4« oder »Effizienzrevolution«. Zugespitzte Begriffe für ein breites Publikum. Aber was genau ist beispielsweise unter einem »Ökologischen Rucksack« zu verstehen?
Professor Friedrich Schmidt-Bleek, der Vizepräsident des Instituts in den ersten Jahren, hat kalkuliert, wie viele Tonnen Rohstoffe eingesetzt werden müssen, um ein Gut wie einen Computer oder eine Dienstleistung, beispielsweise einen Flug nach Teneriffa, zur Verfügung zu stellen. Er fand heraus: Ein normaler Schreibtisch-Computer hat einen ökologischen Rucksack von rund zehn Tonnen. So viel Erze und andere Materialien werden während des gesamten Lebenszyklus – von der Herstellung über den Gebrauch bis hin zur Entsorgung – bewegt. Anders formuliert: So viel Natur steckt in ihm.
Das Wuppertal Institut agiert laut Gesellschaftervertrag an der »Schnittstelle zwischen wissenschaftlicher Erkenntnissuche und praktischer Umsetzung«. Einen Großteil des Budgets nimmt es durch Aufträge aus der Wirtschaft ein. Sind Interessenkonflikte da nicht programmiert?
Glücklicherweise hat das Wuppertal Institut ein so gutes Renommee, dass es sich die Aufträge im Großen und Ganzen aussuchen kann. Wenn den Wuppertalern ein Auftrag stinkt, dann nehmen sie ihn nicht an. Das Problem ist ein anderes: Gerade wegen der guten Reputation eignen sich Arbeiten des Wuppertal Instituts auch für Greenwashing. Wenn eine Firma sagen kann, das Wuppertal-Institut hat uns gewisse Fortschritte bescheinigt, dann entsteht immer gleich ein Stückchen Heiligenschein. Und mit dem kann ein Unternehmen gut werben. Das will aber auch niemand verhindern.
Die bekannteste Publikation des Instituts ist die 1996 erschienene Studie »Zukunftsfähiges Deutschland«, entstanden für einen umwelt- und einen entwicklungspolitischen Verband. Eine der Hauptbotschaften: Ein Deutschland, das nach den Prinzipien globale Gerechtigkeit, kein Wirtschaften auf Kosten der Enkel und Urenkel sowie ökologische Risikominimierung handelt, müsste seinen Schadstoff-Ausstoß und Rohstoff-Verbrauch drastisch reduzieren. Sind wir diesem Ziel seitdem näher gekommen?
Immerhin ist die Idee, die Stoffströme zu vermindern, seitdem in den Regierungsprogrammen verankert. Kurz nach der Veröffentlichung fand ja der Regierungswechsel zu Rot-Grün statt. Aber auch Schwarz-Rot und Schwarz-Gelb haben Ressourcen-Politik, in gewissem Sinne also »Rucksack«-Verminderungspolitik, in ihre Programme aufgenommen.
Gefordert wurden Reduktionen von 80 bis 90 Prozent – in sehr vielen Bereichen und binnen weniger Jahrzehnte.
Ja. Und von solchen Reduktionen ist praktisch überhaupt noch nicht die Rede. In keinem Land der Erde!
Man kann diese drastischen Reduktionsszenarien natürlich auch als radikale Kritik am alten »Modell Deutschland« interpretieren: Seht her, unser relativer Massen-Wohlstand funktionierte nur auf Basis der Ausplünderung der Welt! Warum hat die politische Linke diese Steilvorlage kaum bis gar nicht aufgegriffen?
Die politische Linke ist dadurch charakterisiert, dass sie sich um die soziale Besserstellung der Schwächeren in unserer Gesellschaft kümmert. Aber Umverteilungspolitik war noch nie einfach. Häufig bedeutet Umverteilung: Erst einmal kommen mehr Rohstoffe und Energie in Umsatz. Die Linke kritisiert natürlich auch, dass die Reichen zu viel verbrauchen.
Besteht also ein Widerspruch zwischen Umverteilung und einer Stoffpolitik, wie Sie sie fordern?
Es muss nicht. An der Lösung des Problems – und es ist aus meiner Sicht lösbar! – wird überall in der Welt gearbeitet. Ein wesentlicher, wenngleich unpopulärer Aspekt ist aus meiner Sicht: Energie und Primärrohstoffe müssen langsam immer teurer werden ...
... und Arbeit im Gegenzug billiger. Das sind die beiden wesentlichen Säulen Ihrer »Effizienzrevolution«. Das Ziel: Sie wollen aus der Hälfte der Rohstoffe doppelt so viel Wohlstand herausholen. Der berühmte »Faktor 4«. Doch wachsen Wirtschaft und Konsumansprüche, sind alle Effizienzfortschritte für die Katz. Was tun gegen dieses »Rebound«-Effekt genannte Phänomen?
Die klassische Form, das Thema Effizienz anzugehen, sind Effizienz-Verordnungen. Ein Beispiel: Die klassische Glühbirne wird verboten, damit man effizientere Leuchtkörper einsetzen muss. Allerdings zeigt die Erfahrung in den USA, in Japan, aber auch Deutschland immer wieder: Wenn effizientere Techniken die alten ersetzen, dann entsteht dieser Rebound-Effekt.
Die Energiesparlampe lässt man einfach brennen. Kost' ja nix!
Die berühmten Nachtbilder von der Erde, auf denen man sieht, es ist hell, wo sich die Menschen ballen – die ist zum Teil ein Erfolg billiger Lichterzeugung. Aber man kann dem Rebound-Effekt begegnen: Man muss Energie genau in dem Schritttempo teurer machen, wie die Energie-Effizienz zunimmt. Gleiches gilt für die Rohstoffe. Dann hat man einen sanften Druck, nicht ständig mehr zu verbrauchen.
Was die Kosten betrifft, ist das ein Nullsummenspiel für Bürger und Unternehmen. Oder?
Nein, das ist kein Nullsummenspiel. Unser Land würde nicht nur weniger verschwenden, es würde auch reicher – und könnte mehr umverteilen. Schließlich müssen wir weniger Geld nach Saudi-Arabien für Öl, nach Australien für Kohle oder nach Russland für Gas abführen. Dieses Geld stünde uns als zusätzlicher Wohlstand zur Verfügung.
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