Entfalteter Schein
Wer sammelt, muss lernen, sich zu beschränken. Stefan Haupt, Rechtsanwalt in Berlin, hat es vorzüglich gelernt, sich beim Erwerben neuer Objekte auf einen Rahmen zu besinnen. Seit Mitte der 90er Jahre sammelt der Kunstfreund, der sich ursprünglich für Fotografie interessiert hatte, Werke zum Thema Geld. Den Auftakt machte eine Arbeit des taiwanesischen Künstlers Ming Wei-Lee, die die soziale Dimension von Geld und die ökonomische Dimension von Kunst ganz wunderbar ausmisst. Sie ist gleich am Anfang der Ausstellung zu sehen.
Der in New York lebende Künstler faltete mehrere Dollarnoten zu kleinen Papierskulpturen und verschenkte diese an neun verschiedene Personen. Er fotografierte das Faltkunstwerk auf der Hand des jeweiligen Empfängers und nahm sechs Monate später wieder Kontakt zu ihnen auf. Zwei von ihnen, ein Student und eine Kellnerin, hatten die zur Kunst gewordene Dollarnote in den Waren-Geld-Kreislauf zurücktransferiert und Schuhe bzw. Essen davon erworben. Weitere sechs Monate später gab eine Person an, dass ihr das Objekt gestohlen worden sei, eine weitere hatte eine CD von Paul Simon gekauft; wir befinden uns Mitte der 90er Jahre. Fünf Personen immerhin, ein Manager, ein Programmierer, eine Hausfrau, ein Verkäufer,ein Obdachloser, besaßen den gefalteten Dollarschein zu diesem Zeitpunkt noch. Kunst bindet mehr als Geld, selbst wenn sie ganz simpel durch bloßes Entfalten zum universellen Tauschmittel zurückverwandelbar ist. Das ist doch ein schönes Statement.
Drei große Arbeiten, die den Blick strukturieren, weisen auf die oberflächlicheren Aspekte des Geldes hin. Esther Shalev-Gerz lässt in einem Video-Loop eine Münze permanent auf einer Unterlage klimpern. »Perpetuum Mobile», so der Titel der Arbeit, illustriert die Illusion derjenigen, die glauben, dass in Geldströme keine Arbeit mehr hineinzustecken ist.
Michael Timpsons Porträt eines Geldzählers - ein Mann, dem die Augen verbunden sind, sortiert Silbermünzen aus einem Haufen heraus und häuft sie zu Türmchen - schließt direkt an die Träume endlosen Wachstums an.
Und Justine Smiths »A Bigger Bang« - auf schwarzem Untergrund in alle Himmelsrichtungen hinwegfliegende Fetzen von Papiergeld - markiert das Ende dieser Wachstumsträumereien. Als schöne Hängungsidee sind in der Dynamik dieser hinwegstrebenden Notenteile weitere kleinere Arbeiten rings um Smiths Eruptionszentrum gruppiert. Hier finden sich dann übermalte, beschriftete, kopierte und anderweitig manipulierte Geldscheine. Maria Fisahn gibt etwa ein »Erziehungsgeld« heraus. Horst Hussel kreierte eine Währung der »Räterepublik Mecklenburg«. Auch angeätztes Säuregeld der Künstler Uwe Jonas, Peter Kees und Hans Winkler ist präsent.
In einem extra Raum im ersten Stock werden Barton Lidice Benes' possierliche, auf Nationalklischees getrimmte Assemblagen gezeigt. Indische Rupien werden zu einem Nagelbett verarbeitet, Francs zu einem Schneckenhaus gerollt und Pfundnoten in einen Teebeutelkontext gesetzt.
Immer noch am pfiffigsten wirkt jedoch die Dokumentation einer Arbeit von Timm Ulrichs. Erst ließ er sich zwei 500 DM-Scheine stiften. Dann bat er das Münchner Haus der Kunst, dem Finanzamt mitzuteilen, dass es sich bei diesen 1000 DM nicht um Einnahmen des Künstlers handelte - die eine Besteuerung nach sich gezogen hätten - sondern um Material für ein Kunstwerk. Und schließlich versenkte er das Geld in einer Wand, entzog es so dem Kreislauf und unterstrich gleichzeitig dessen Fetischcharakter.
Die Ausstellung wirkt in der Mehrgalerienhalle am Wasser ein wenig zurückgezogen. Eine besser in die gegenwärtige Zeit passende Ausstellung kann man sich jedoch nicht vorstellen.
? »Dreißig Silberlinge« - Kunst und Geld - Sammlung Haupt. Halle am Wasser, Kunst-Campus am Hamburger Bahnhof, Invalidenstraße 50/51, Berlin, bis 8. Oktober, 12-18 Uhr, Eintritt frei. Zur Finissage am Samstag ab 15 Uhr: Umprägeaktion der Centralbank of the United Transnational Republics, Euro in die globale Währung Payola
? Sa, 18 Uhr: Vortrag »Welt Macht Geld« von Georg Zoche, Autor des gleichnamigen Buches
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