Extremisten in der Leitung
Die Bundesregierung forciert ihren Feldzug gegen die Gefahr von Links
Manchmal kann ein Anruf das ganze Leben verändern. Am Donnerstag gab Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) jedenfalls den Startschuss für das neue »Aussteigerprogramm für Linksextremisten«. Zukünftig können sich ausstiegswillige Linksextremisten telefonisch über eine Hotline oder per E-Mail vom Bundesamt für Verfassungsschutz beraten lassen. »Szeneangehörige, die gewillt sind, sich aus linksextremistischen Zusammenhängen zu lösen, erfahren dort sachkundige Betreuung«, hieß es dazu aus dem Bundesinnenministerium.
Wer aber ist denn nun Linksextremist? Die Webseite des Ministeriums weiß Antwort: Typisch für einen solchen Extremisten sei etwa »das Bekenntnis zu Marxismus-Leninismus als wissenschaftlicher Anleitung zum Handeln«. Auch wer von einer »sozialistischen oder kommunistischen Transformation der Gesellschaft« mittels »langfristiger revolutionärer Veränderungen« träumt, der kann nun zum Hörer greifen und sich unter der (kostenpflichtigen) Rufnummer 0221 792-6600 beraten lassen. Da die LINKE in einigen Bundesländern unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht, könnten sich Mitglieder der Kommunistischen Plattform an die Schlapphüte wenden, wenn sie denn »aktiv wären«, wie ein Sprecher gegenüber ND betonte.
Man mag das Aussteigerprogramm für Linke ob seiner Unbedarftheit belächeln. Dahinter steckt jedoch der schwarz-gelbe Ansatz, linke und rechte »Extremisten« in einen Topf zu werfen. Deutlichstes Indiz für diese Gleichsetzung war die Einführung der sogenannten Extremismusklausel im Oktober 2010. Auf Initiative von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) müssen Vereine, die für ihr Engagement gegen Extremismus Fördermittel des Bundes erhalten, eine »Demokratieerklärung« unterschreiben. Darin haben sie sich zur »freiheitlichen demokratischen Grundordnung« zu bekennen. Sie müssen zudem sicherstellen, dass sich ihre Kooperationspartner »ebenfalls den Zielen des Grundgesetzes verpflichten«.
Mehrere Vereine nahmen den gestrigen Jahrestag dieses »Bekenntniszwanges« zum Anlass für eine gemeinsame Pressekonferenz in Berlin. Dort erklärte Timo Reinfrank von der Amadeu-Antonio- Stiftung, die Klausel habe »Misstrauen und Bürokratie gesät«. Er forderte die Rücknahme der Regelung, auch weil »sich viele Projekte von den staatlichen Förderprogrammen abgewendet« hätten. Denn in der Praxis trifft die Klausel vor allem linke antifaschistische Initiativen, die sich weigern, die Erklärung zu unterzeichnen. Sabine Seyb von der Opferberatungsstelle ReachOut erklärte gestern auch, warum: »Für unsere Kooperationspartner ist es wichtig zu wissen, dass wir nicht bereits sind, sie zu bespitzeln«. Die Arbeit ihrer Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt beruhe auch auf Vertrauen, deshalb könne sich ReachOut nicht verpflichten, die Partner zu überprüfen.
Steffen Richter aus Pirna, dessen Verein AkuBiZ im letzten Jahr die Unterschrift zur Klausel verweigerte und deshalb den bereits zuerkannten »Sächsischen Förderpreis für Demokratie« nicht bekam, nannte den Bekenntniszwang »absurd«. Insbesondere wenn dies Vereine wie AkuBiZ treffe, die seit Jahren »anerkannte Demokratiearbeit« leisteten.
Doch Ministerin Schröder hält an ihrer Klausel fest. Obwohl selbst der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einem Gutachten zu dem Schluss kommt, dass das erzwungene Bekenntnis »verfassungsrechtlich fragwürdig« sei. Und so hat Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) wohl recht, wenn er meint, dass es »nur eine Frage der Zeit« sei, »bis der erste Träger gegen die Extremismusklausel klagt«. Der Zentralrat der Juden und der Zentralrat der Muslime hätten bereits zugesagt, eine solche Klage gegen die Bundesregierung zu unterstützen, so Thierse, der auch Schirmherr der Amadeu-Antonio-Stiftung ist.
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