Klamauk mit dem Charme des Unperfekten

Ratten 07 spielen Gogols »Revisor«

  • Anouk Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein ewig betrunkener Schulinspektor, ein Kreisarzt, der kein Wort Russisch spricht, und ein Stadthauptmann, der seine Gemeine als Selbstbedienungsladen ansieht: Nikolai Gogols Komödie »Der Revisor« um einen bankrotten jungen Adligen, der in einer Provinzstadt fälschlicherweise für einen hohen Petersburger Beamten gehalten wird, ist genau die richtige Vorlage für das Obdachlosentheater Ratten 07. Die Komödie kommt hier als lauter, derber Klamauk daher, mit dem bewährten Charme des Unperfekten.

Regie führte der Leiter der Theatergruppe, Gunter Seidler, der nach der Premiere für sein jahrelanges ehrenamtliches Engagement das Bundesverdienstkreuz verliehen bekam. Doch die hohe Auszeichnung hat am Auftritt der Ratten 07 nichts geändert: Noch fünf Minuten vor Beginn der Vorführung stehen sie in ihren Kostümen vor der Stenzerhalle auf dem RAW-Gelände herum, Bier in der einen, eine Selbstgedrehte in der anderen Hand. Erst auf der Bühne, hinter sich die Pappkulissen mit der aufgemalten Stadt, verwandeln sich die Männer und Frauen mit der schwierigen Vergangenheit in ehrwürdige russische Provinzpersönlichkeiten »mit kleinen Schwächen«, wie es der panische Stadthauptmann formuliert.

Der hat nämlich gerade aus sicherer Quelle erfahren, dass ein Revisor auf dem Weg in seine Stadt ist, um inkognito die Zustände zu prüfen. Die sind aber alles andere als vorzeigbar, der gesamte Beamtenapparat ist korrupt, schlampig und faul. Was tun? Als bekannt wird, dass ein junger Fremder im Gasthof abgestiegen ist, scheint klar: Der hohe Beamte ist bereits in der Stadt und muss schleunigst abgelenkt werden. Tatsächlich aber ist der Reisende aus St. Petersburg genau der, der er zu sein vorgibt - ein junger Mann, der sein ganzes Geld verspielt hat und nun samt Diener im Gasthof gestrandet ist. Er staunt nicht schlecht, als der Stadthauptmann seine Rechnung bezahlt und ihn fürstlich bewirtet, ist aber fest entschlossen, die Situation weidlich auszunutzen.

Nur das Publikum kennt die wahre Situation des jungen Mannes: Aus diesem Mehr-Wissen zieht Gogols Komödie einen Gutteil seiner Komik. Die Ratten-Inszenierung weidet sich genüsslich an dieser Situation. Die Darsteller haben sichtbar Spaß daran, die heuchlerischen Stadtoberen als chaotischen, in sich zerstrittenen Haufen zu charakterisieren. Da wird in Slapstickmanier gerangelt, gezankt und gehampelt, was das Zeug hält, schrauben sich absurde Szenen bis zur Groteske hoch. Wie meist in ihren Stücken bringt die Truppe ihren eigenen Stil ein, etwa wenn der Bedienstete des Stadthauptmanns den fremden Kollegen mit Berliner Schnauze hin- und herscheucht, oder wenn die gemeinsame Schmiergelüberreichung am Anfang des 2. Akts in einem wilden Tanz gipfelt. Bei aller Spielfreude ist mancher Auftritt arg überdreht geraten; insgesamt aber ist das turbulente Stück ein durchaus mitreißender, authentischer Klamauk nicht ohne Tiefgang.

Wieder am 12./19./26.10., 2. und 9.11. im RAW-Tempel, Stenzerhalle, Revaler Str. 99, Friedrichshain. 7./8.10. im Acud, Veteranenstr. 21, Mitte; 4./5.11. im Jukuz, Karl-Kunger-Str. 29-30, Treptow, Beginn immer 20 Uhr; Karten unter Tel. 69 81 91 88

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