Agenten beim »StoryDrive«
Messe zwischen Bücherschau und Börse
Fremdbild und Selbstbild: Besuchern wird sich die 63. Frankfurter Buchmesse nicht so viel anders zeigen als die 62. oder die 59. Ein neues Gastland präsentiert sich mit einer Sonderschau. Aber ansonsten - Wiedersehen macht Freude - viele Verlage am angestammten Platz. Vielleicht dieser oder jener Messestand etwas kleiner? Alle ausgestellten Bücher aufeinandergestapelt - ergäben sie die Höhe des Messeturms? Egal, die Wahrnehmung hier ist horizontal. Bücherreale, endlose Meter, Gedränge in den Gängen, verstopfte Rolltreppen, Menschentrauben um Autoren, die für ihre Erzeugnisse werben. Wüsste man's nicht, die eignen Füße würden es einem sagen: Dies ist die größte Bücherschau der Welt.
Dass dies den Veranstaltern nicht genügt, liegt im Trend der Zeit. Nichts darf genügen, nirgendwo. Nur wer Innovationskraft unter Beweis stellt, verteidigt seine Geltung. Es gibt schon eine ganze »Industrie« nur zu diesem Zweck: Ideen zu kommunizieren, deren Wirksamkeit sich mitunter in der Kommunikation schon erschöpft, die aber erst einmal aufmunternd wirken angesichts der überall grassierenden Angst vorm Niedergang.
Auch die kleinste Rezession in der Buchbranche - die Messe würde sie zu spüren bekommen. Also werden vorsorglich zusätzliche »Standbeine« gesucht und als innovativ kommuniziert. Das Buch sei doch nur ein »Baustein in einer immer breiter gefächerten Verwertungskette«, so Buchmesse-Chef Juergen Boos. Er schwärmt von »Vernetzung: print, digital, social media«. Eine »Konferenzmarke« wurde kreiert: »The Mind Network«. Im neuen »StoryDrive Business Centre« sollen Experten aus der Film-, Spiele-, Verlagsbranche die Grenzen der Medienwelt neu vermessen. Am »Hot Spot Digital Relations« dreht sich alles um »Storytelling und Storyselling« (sag's ein paarmal vor dich hin, und du wirst dich gleich viel jünger fühlen).
Viel Wind im voraus, auf der Messe selbst würde man kaum was davon merken, wären nicht die Journalisten, die womöglich die »Hot Spots« suchen, weil sie sich leichter zum Thema machen lassen als die Bücherreihen, aus denen die Messe, wie gesagt, vor allem besteht. Denn die internationalen Geschäfte, mit denen die Messe Aussteller lockt, finden in einer öffentlich nicht zugänglichen Halle statt - ein großer Raum mit Tischen und Stühlen in Reih und Glied. 527 (literarische) Agenten haben sich dieses Jahr angesagt. Das sei ein Rekord, meinte Juergen Boos unlängst in einem Interview mit der »Frankfurter Rundschau - und brachte gleich wieder einen seiner beliebten amerikanischen Begriffe ins Spiel: »Speed-Dating«. In fünf bis zehn Minuten könnte der Verkauf von Rechten für Texte, Filme, Computer-Spielen über die Bühne gehen. Agenten am Fließband? Nun, wenn man sich vorher oder hinterher zum Essen trifft ... Auch Marketing-Profis dürften wissen: In der Buchbranche geht es (noch?) persönlicher zu als anderswo. Will man Geschäfte machen, muss man auf »eine Wellenlänge« kommen, und wer sich - ehrlich! - für Inhalte begeistert, hat bessere Karten.
»Die alte Kette - vom Autor über Verleger und Händler zum Leser - ist passé«, wird Juergen Boos von dpa zitiert. Aber wo bitte kommt dann der »content«, der Inhalt, her, um »networking« zu betreiben? Aus der Maschine »StoryDrive«? Ironie beiseite. Was Kreativagenturen in ihrem Slang auch ausbrüten mögen, die Messe lebt von den Menschen, die sich für Bücher interessieren. Die mit ihnen arbeiten, die aus Gesprächen Anregungen schöpfen. Die sich begeistern lassen wollen und sich schon darauf freuen, später in Ruhe zu lesen, worauf sie jetzt neugierig wurden.
280 000 Besucher werden erwartet. Rund 3300 Veranstaltungen werden ihnen geboten. Für rund 1000 Autoren finden sich unterschiedlichste Möglichkeiten zum Auftritt. Am Sonntag kann man an vielen Messeständen Bücher kaufen (zum normalen Ladenpreis). Und wer Charlotte Roche nicht live erleben und kein Autogramm von Umberto Eco, Mario Vargas Llosa oder Jussi Adler-Olsen ergattern konnte, bringt vielleicht wenigstens eine der großen Taschen von »Langenscheidt« oder »arte« mit nach Hause - oder einen Kugelschreiber vom Stand des ND.
Zahlen und Fakten
Öffnungszeiten
12.-15. Oktober 9-18.30 Uhr,
16. Oktober bis 17.30 Uhr.
Publikumstage 15., 16. Oktober.
Aussteller
7500 aus 110 Ländern.
Rahmenprogramm
1100 Veranstaltungen für Fachbesucher, 2200 für die breite Leserschaft
Buchverkauf
Am Messesonntag dürfen Aussteller Bücher zum festen Landenpreis verkaufen.
Preisverleihungen
Friedenspreis des Deutschen Buchhandels an Boualem Sansal, Deutscher Jugendliteraturpreis, Deutscher Hörbuchpreis, Deutscher Cartoonpreis u.a.
Eintritt
Fachbesucher Dauerkarte 80 €
Fachbesucher Tageskarte 40 €
Privatbesucher Tageskarte 15 €
ermäßigt 10 €
Wochenendticket 21 €
Frankfurter Buchmesse 2012
10.-14. Oktober
Gast: Neuseeland
ND-Stand
Halle 3.1., B172
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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