Sicht auf die Gesellschaft

Deutsch-türkische Filmreihe im Zeughauskino

  • Kira Taszman
  • Lesedauer: 3 Min.

Was ist meine Identität? Wo gehöre ich hin? Das sind Fragen, die sich wohl jeder stellt, doch bei Menschen, deren Familie (teilweise) aus einem anderen Kulturkreis stammt, gewinnen sie an zusätzlicher Bedeutung. Anlässlich des 50. Jahrestags des Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik und der Türkei, welche die Einwanderung von türkischen Arbeitskräften regulieren sollte, stellt das Zeughauskino in diesem Monat deutsch-türkische Filmemacher und ihre Sicht auf die deutsche Gesellschaft vor.

Da die filmische Beschäftigung mit türkisch(stämmig)en Menschen in der Bundesrepublik der 1980er Jahre kaum stattfand, erregte Tevfik Ba?ers preisgekrönter Film »40 qm Deutschland« (1985) damals viel Aufsehen.

Er handelt von der Frau eines so genannten türkischen Gastarbeiters, die von ihrem Mann in einer Hamburger Mietwohnung gefangen gehalten wird. Dabei handelt der Mann aus einer Art - völlig ignoranter - Rücksicht heraus: Er will seine Frau vor der in seinen Augen degenerierten deutschen Gesellschaft schützen. In kompletter Isolation gehalten und vom Ehemann gegängelt, leidet sie schließlich an Wahnvorstellungen - bis zum überraschenden Ende. Der Regisseur schlägt sich ganz auf die Seite der Heldin, kritisiert ein archaisches Verständnis von Geschlechterbeziehungen einerseits und eine zuweilen feindselige deutsche Umgebung andererseits, die keine Annäherung ermöglicht.

Später gedrehte Filme von türkischstämmigen Regisseuren der zweiten und dritten Generation bedienen sich einer mal offensiveren, mal entspannteren Herangehensweise, da sich ihre Filme nicht mit dem Label »Problemfilm« begnügen.

Fatih Akin, heute international einer der renommiertesten deutschen Regisseure, begann seine Karriere mit Filmen über junge Ganoven mit Migrationshintergrund. In dem sehr viel reiferen, aufwühlenden Drama »Gegen die Wand« (2004, »Goldener Bär« auf der Berlinale) schildert er die Liebesbeziehung zweier Außenseiter, die nie recht zueinander finden. Die lebensfrohe, etwas durchgeknallte Sibel (Sibel Kekilli) heiratet den Taugenichts Cahit (Birol Ünel), um sich von ihrer traditionellen türkischen Familie zu emanzipieren. Nicht verarbeitete Traumata und ein schlechtes Timing zwischen den Beiden führen geradewegs in die Tragödie. Deren Charakter wird von einer Art griechischem Chor unterstrichen, der in Form einer türkischen Kapelle vor der Kulisse Istanbuls orientalische Musik spielt. Von Hamburg nach Istanbul führt der Film und kommt trotz Kritik an überkommenen Traditionen zu dem Fazit, dass man der Familie in all ihren Spielarten nicht entkommen kann.

Dennoch spielt bei einigen Filmen der Reihe die Türkischstämmigkeit ihrer Macher mittlerweile gar keine Rolle mehr. So ist Mennan Yapos »Lautlos« (2004) ein effektiver Thriller in Hochglanzoptik, mit Joachim Król als Auftragskiller. Regisseur Yapo orientiert sich eher an US-Vorbildern - nicht umsonst dreht er heute in Hollywood.

Auch Thomas Arslans beachtlicher, unterkühlter Krimi »Im Schatten« (2010) ähnelt in nichts seinen Vorgängerfilmen, die das Leben junger türkischstämmiger Berliner beobachteten. Im Zentrum dieses Genrefilms steht auch ein einsamer Held (Misel Maticevic): Er muss sich gegen kriminelle Ex-Kompagnons und einen korrupten Polizisten behaupten. Sparsame Dialoge, eine geschickte Kamera und gute Schauspieler sorgen hier für ein ständiges Gefühl der Bedrohung und eine mit Spannung aufgeladene Atmosphäre.

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