Das Wiehern des Staatstrojaners
Die Liste der Bundesländer, die Spionagesoftware einsetzten, wird länger
Liveaufzeichnungen von Gesprächen über das kostenlose Internettelefonieprogramm Skype einschließlich des von der Webkamera übertragenen Videobildes, SMS und sonstige Chatbotschaften, Übertragung der Liste der Skype-Kontakte, Ausspähen von Onlinebanking, Internetshops und E-Mails - all das kann das Spionageprogramm, das jetzt die Gemüter bewegt. Und es ist fraglich, ob beim verdeckten Angriff durch bayerische Behörden auf bisher unbekannte Verdächtige auf eine der genannten Möglichkeiten verzichtet worden sein könnte. Fünf Mal, so räumte das Münchner Innenministerium ein, sei der Staatstrojaner eingesetzt worden - immer nach richterlichem Beschluss, Recht und Gesetz. 29 589 Bildschirmfotos, sogenannte Screenshots, sollen dabei gemacht worden sein.
Das Bundesverfassungsgericht hatte für Computerüberwachung jedoch enge Grenzen gesetzt. Die Onlinedurchsuchung eines Rechners sei nur bei konkreter Gefahr für hochrangige Rechtsgüter zulässig, befanden die Richter 2008. Für das Abhören von Internettelefonaten - die »Quellen-Telekommunikationsüberwachung« (Quellen-TKÜ) - gelten gleichwohl die weniger strengen Regeln der tausendfach praktizierten Telefonüberwachung. Der Chaos Computer Club, dessen Hacker das Programm nach einem Tipp verfolgt und identifiziert hatten, gibt an, dass der Staatstrojaner nicht nur die Überwachung von E-Mails und Telefonaten erlaube, sondern eine Ausforschung der Festplatte. Das verstieße gegen geltendes Recht. Das bayerische Innenministerium bestreitet jedoch, dass Festplatten ausgespäht wurden.
Es müsse klar sein: »Nur, was absolut nicht die Privatsphäre und den Kernbereich berührt, darf überhaupt an Technik entwickelt werden«, sagte Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) am Dienstag. Was in welchem Umfang zu welchem Zweck ermittelt wurde, ist bisher offen. Die Rufe nach Aufklärung beziehen sich deshalb zunächst vor allem auf diese Fragen. Und darauf, ob der rechtliche Rahmen gewahrt wurde, selbst wenn es sich bei den konkreten Ermittlungszielen um noch so gefährliche Banditen gehandelt haben mag.
Nicht nur in Bayern, sondern auch in Baden-Württemberg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Brandenburg ist der Trojaner eingesetzt worden, wie die jeweiligen Innenministerien inzwischen bestätigten. Freilich betonen auch sie, sich stets im Rahmen des Erlaubten bewegt zu haben. Aus Thüringen heißt es, das Abhören verschlüsselter Internettelefonate sei beantragt, aber nicht umgesetzt worden.
Doch das Misstrauen ist allgemein groß. Zumal unklar ist, ob Aufklärung überhaupt möglich ist. Die Schadsoftware kann nicht nur illegal installiert, sondern über das Internet auch unbemerkt wieder deinstalliert werden. Die LINKE in Niedersachsen hat eine Große Anfrage angekündigt, die in Brandenburg will im Innenausschuss auf Aufklärung drängen, die sächsische Linkspartei zeigt sich durch das im Land besonders laxe Verhältnis zu Rechtsnormen alarmiert, das sich in der rechtswidrigen Massenerfassung von Handydaten im Umfeld der Antinaziproteste im Februar gezeigt hat.
Auch SPD und Grüne rühren die Alarmtrommeln, die Liberalen in Bayern sind verschnupft und drohen mit einer Koalitionskrise, die FDP-Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger zeigt auf Bundesebene die Zähne. Sie sprach sich für eine zentrale Kontrollstelle aus, »ob das nun ein TÜV ist oder ein Kompetenzzentrum oder ob es das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik ist«. Die Deutsche Polizeigewerkschaft hatte zuvor einen »Software-TÜV« und ein Prüfsiegel für behördliche Spionageprogramme gefordert.
Bund und Länder brauchten keinen Software-, sondern einen Sicherheitsbehörden-TÜV, wendet allerdings der Innenexperte der Linksfraktion im Bundestag Jan Korte ein. Ein Software-TÜV reiche nicht aus, weil der Vorfall keine technische Ursache habe. Das Schadprogramm wurde von Beamten erworben und eingesetzt, die gewusst haben müssen, dass sie damit rechtswidrig handeln. Das Problem liegt eher in der Frage: Wer kontrolliert die Überwacher? Kommentar Seite 8
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.