Slapstick der lahmen Art
Die Komödie am Kurfürstendamm beschwört »Das Ende vom Anfang«
Ziegen meckern, Kühe muhen. Mit Landlauten stimmt der Ton in der Komödie am Kurfürstendamm auf das Stück ein. Es spielt in einer deftigen Landküche mit Herd, Spüle, Kamin, Büfett voller Geschirr und einem Tisch in der Mitte des Raums. An ihm werkelt Lizzie, bügelt, mahlt Kaffee, holt den Kuchen aus der Röhre, raucht, löst Kreuzworträtsel, singt. Und singt und singt. Da ahnt man bereits Arges. Von ihrem Glück singt sie, und just an dieser Stelle räkelt sich jedes Mal unsichtbar, aber lautstark, im Bad ihr Ehemann. Und schimpft, dass sie ihm angeblich kaltes Rasierwasser gebracht habe. Als er endlich eintritt, schaltet er zuerst das Radio aus: Carmens Habanera braucht er nicht. Gutmütig zwar, doch schon liegt das Paar im Streit. Jeder behauptet, er könne die Tätigkeit des Anderen flugs erledigen, eben wie nichts.
Schweine, Kuh, Hühner versorgen, kochen und nähen, das sei doch leicht, nörgelt Darry und prahlt, wie schwer doch das Mähen falle. Was liegt näher, als den Job zu tauschen. Wie das ausgeht, damit beschäftigt sich »Das Ende vom Anfang« reichlich 100 Minuten. Geschrieben hat dieses Stück Sean O?Casey 1937 und mag damals ein mutiges Thema angepackt haben. Zu den stärksten Arbeiten des sozialkritischen Iren gehört es wohl nicht, selbst wenn andernorts Inszenierungen mit Erfolg liefen. Daran dürfte dann auch die Regie regen Anteil gehabt haben.
Hauptmangel in Carl-Hermann Risses Bühnenumsetzung ist ihre übergroße Betulichkeit. Sie kommt nicht vom Fleck und nervt durch Auswalzen von Situationen, die ihre Schuldigkeit bereits nach kurzer Zeit getan hätten. Etwa Darrys Gymnastikexkurs, in den er auch noch Freund Barry einbindet. Eigentlich ist der gekommen, um ein Lied fürs Schützenfest zu proben. So liegen sie ewig auf dem Boden, werfen die Beine und zuckeln mit den Armen, erst nach der halben Geschwindigkeit, dann im doppelten Tempo der Schallplattenmusik. Denn Barry ist halb blind, findet den Regler nicht. Bis dahin hat Darry solo schon fast all die üblichen Slapstick-Tricks absolviert: die Uhr kaputtrepariert, sich im Bügelbrettgestell verheddert und eingeklemmt, sich am Herd verbrannt, ist gestolpert, hat Dinge heruntergeworfen.
Über das dann geprobte Lied mit geschraubtem Text, zu Flöte und Mandoline, kann man ebenso wenig lachen wie über Darrys Gag mit der Schürze: Welcher Mann im Jahre 2011 des Herrn weiß nicht, wie man sich dies Kleidungsteil umbindet? Wie raffiniert er den kurzsichtigen Freund nötigt, die Uhr aufzuziehen, um das eigene Versagen zu kaschieren, ist witzig.
Dem folgt kaum mehr eine Überraschung. Beim gemeinsamen Abwasch geht zu Bruch, was nicht aus Metall ist, Larry rennt sich im Schweinestall den Kopf an der Betonwand blutig, Barry rempelt auf der hilfreichen Suche nach kühlendem Eis die Badeinrichtung um, schneidet sich fast den Finger ab. Das Büfett kippt seinen Inhalt aus, die Lampe erleidet einen Kurzschluss, die Kuh muht durchs Fenster nach ihrem Fressen, dem Fass mit dem Leuchteröl kommt der Stöpsel abhanden. Ein Schlachtfeld findet Lizzie vor, als sie von der Mahd zurückkehrt und sich auch noch anhören muss, dass sie nichts richtig mache: Denn der Tausch sei schließlich ihre Idee gewesen.
Was in der erzählenden Raffung dicht klingt, streckt sich auf der Bühne quälend in die Länge. Darry darf permanent nur alles, was die anderen sagen, empört ins Lächerliche ziehen und Barry Aufgaben geben, die der Kneifäugige todsicher nicht lösen kann.
Daraus mag sich dereinst Humor gespeist haben, heute wirkt das wie Billigklamauk aus der Plunderabteilung. Walfriede Schmitt als Lizzie hat nur eingangs ihre kurze Szene und muss am Ende lediglich Schrecken mimen. Florian Martens tattert stets aufs Neue ins Unglück, das ihm Darry bereitet. Als der kann selbst ein Erzkomödiant wie Achim Wolff den Schwachgang nicht retten. »Das Ende vom Anfang« entpuppt sich hier eher als der lahme Anfang vom Ende in einem Haus, das bisher mit prall heutigem, dialogstarkem Spaß brilliert hat.
Bis 20.11., Komödie am Kurfürstendamm, Kurfürstendamm 206/209, Charlottenburg, Kartentelefon 88 59 11 88, Infos unter www.komoedie-berlin.de
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