Gesichter an der Wand

Kalin Lindena lässt die KW-Experimentalreihe enden

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.
Gesicht aus Zigarettenasche von Hanna Brandes
Gesicht aus Zigarettenasche von Hanna Brandes

Die Idee ist so einleuchtend, wie sie offenbar tragfähig war. Die Kunstwerke (KW), das Institut für Zeitgenössische Kunst an der Auguststraße, stellte seine Räume im Parterre des Vorderhauses jungen Künstlern für ein Experiment zur Verfügung. Dies nach dem Prinzip eines Staffellaufs: Einer darf als erster andere einladen, dort auszustellen, und unter denen wird jeweils ein nächster ausgewählt, der dann als Kurator fungiert. Den Anfang machte Angela Bulloch unter dem Titel »Molecular Etwas«, unter anderem mit Werken von Jean-Michel Wicker, der wieder Kollegen zur zweiten Exposition unter dem Motto »cactus craze« bitten konnte.

Sieben Ausstellungen auf engstem Raum sind auf diese Weise seit Oktober 2010 entstanden, jede mit einmonatiger Laufzeit, klammerndem Thema und auch einzelnen Künstlern in Mehrfacheinladung, jedoch sonst ohne begrenzende Vorgabe. Ganz unterschiedliche Ausdrucksweisen, Malerei, Grafik und Collage, Plastik und Installation, versammelten sich so in den vom Flur verbundenen zwei kleinen Zimmern und vermittelten einen Einblick, woran Künstler derzeit arbeiten, worüber sie nachdenken.

Auf Judith Hopf, Kerstin Cmelka, Eva-Maria Wilde folgte Corinne Wasmuht, die Kalin Lindena als Organisatorin der siebten und letzten Ausgabe bestimmte.

So wie die 1977 in Hannover geborene, in Braunschweig graduierte, jetzt in Berlin lebende Kalina eigene Ausstellungen unter absurde Titel stellt, verfährt sie auch für die KW. »Vielleicht steht es wirklich auf der Wand, dachte ich, sagte sie« summiert für die Abschiedsedition in den letzten drei Jahren entstandene elf Werke auch von sieben Künstlern. Unterschiedlich spiegelt sich darin Weltempfinden.

Im Eingangsbereich empfängt eine filigrane Arbeit von Hanna Brandes: Aus Haar und Flusen an Knotenpunkten hat er ein an Marilyn mit ihrem aufgetufften Haar erinnerndes Selbstporträt geknüpft, 31 x 22,5 Zentimeter nur groß, auf weißem Papier umso feiner sich abzeichnend. Gesichter haben es Brandes, Jahrgang 1973, offenkundig angetan: So hat er einer ovalen Porzellanschale schemenhaft ein Antlitz aus Zigarettenasche und mit großen Augen aufgedrückt und die Schale wie eine Gemme grauem Dickkarton aufgeklebt. Sein drittes Gesicht, »Mädchenkopf II«, besteht aus einem einzigen in Form gebogenen, an den Enden spiralig verdrehten Metalldraht und hängt auf Silberpapier an einem Nagel in einem Silberrahmen; Langhaar scheint aus dem Abstand tatsächlich ein Porträt zu umfließen.

Mit zwei Exponaten ist die Französin Agathe Fleury vertreten, auch sie setzt beide Male Edelstahl ein. »Untitled« verflicht zwei Stahlnägel in identischer Biegeprozedur zu einer scheinbar unauflöslichen Gemeinschaft und fixiert sie schlicht, ganz ohne Rahmen, per Nagel an der Wand. »La réplique« löchert eine galvanisierte Stahlstange aus dem Gerüstbau in der Mitte zum transparenten Gebilde, das schräg an der Mauer lehnt und durch die Bearbeitung freilich jeden ursprünglichen Nutzen eingebüßt hat. Ein technischer Gebrauchsgegenstand wird so Kunstobjekt. Ähnlich verfährt Martin Neumaier. Auf verschieden hohen weißen Plinthen installiert er geschwungene alte Uhrzeiger, die zwar wie Finger aufragen und ihre Funktion verloren haben, dennoch auf etwas hinweisen, obgleich nicht die Zeit. Bei Lichteinfall werfen sie Schatten wie Sonnenuhren. Mit Öl hat Daniel Müller-Friedrichsen einer freistehenden Glaswand blauweiße Wölkchen aufgebracht, wie man, der Titel »Matt Painting for the Video Plot Holes« assoziiert es, wohl auch in der Filmtricktechnik arbeitet.

Mit Geburtsjahrgang 1967 ist die Kölnerin Michaela Eichwald schon »Seniorin« im Künstlerseptett. Zwei Skulpturen zeigt sie. Eine titellose türmt auf zylindrischem Metallfuß eine elegant gebogene Hand aus durchsichtigem Schaummaterial, die so etwas wie ein Armreif umgibt. »Lustgrotte« mündet durch eine Vase als Eintritt in einem rechteckigen Glasklumpen mit Einschlüssen des Alltags: silbrig abgepackte Minibutter, zernagtes Apfelgehäuse, dunkles Band. Metall scheint dem Gebilde Flügel zu verleihen. Auch Hella Gerlach wirkt Erwartungen entgegen. Ihr »Geselle II« als pink lackierter Quader ruht auf vier Beinen, die zwar oben stabil sind, sich nach unten aber zu Stilettos verjüngen. Im oberen Drittel öffnet sich dem Gesellen ein Deckel, den ein diagonal gelegter pepitabezogener Schlauch aufsperrt. Mobil mag es Nina Rhode: Ihre Wandinstallation »Clowning« ist eine 110 Zentimeter messende, motorisch angetriebene Scheibe; der teils aufgeklappte, farblich unterschiedliche Belag erzeugt einen harlekinesken Eindruck.

Bis 23.10., KW, Auguststr. 69, Mitte, Telefon 243 45 90, Infos unter www.kw-berlin.de

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