Ja, Kunst ist! Waffe?
Gesagt ist gesagt
Wenn man nicht daran glaubt, dass die Literatur die Welt verändert, sollte man keine Literatur machen.« (Ilja Trojanow), Frankf. Allg. Zeitung
Das ist nach wie vor, oder wieder, ein ungeheurer Satz. Er war eine Weile nicht geheuer. Weil er dort angeheuert hatte, wo man, um sich deutlich zu machen, Barrikaden errichtete, Gewehre verteilte und auch die Kunst zur Waffe erklärte. »Krieg den Palästen!« - dies Fanal kam aus der Feder eines Dichters und blieb unsterblich wie dessen Werk.
Der Satz Trojanows auf der Buchmesse ist ein Glaubenssatz, er sagt nicht, Kunst verändere die Welt, er verteidigt aber die Illusion, es könne so sein. Der Satz spricht von der Verstiegenheit des Wortes, unsere kleinen, schamhaften, feigen, pragmatischen, schmerzvermeidenden Taktiken des In-der-Welt-Seins (und dort Bleibenwollens!) mit einer letztlich kostenfreien Euphorie zu übersteigen. Lesen bildet? Lesen fördert vor allem die Lust an der Einbildung, wir seien besser, als wir sind oder sein dürfen.
Der Nutzen von Kunst ist nicht nachzuweisen, aber es macht schon Spaß, den Mund so vollzunehmen - mit allem, was uns gute Wünsche in Gehirn und Gemüt packen könne. Das Prädikat freilich, dieses oder jenes Buch sei deshalb »gesellschaftskrititisch« und damit gut, reduziert Kunst auf einen Gesinnungsgenossen und entfärbt sie damit. Und wahrscheinlich will der Dichter gar nicht die Welt an sich verändern, sondern die Welt, die in ihm selbst tobt. Kunst, die pädagogisch unmittelbar nach draußen drängt, ist meist weniger ergreifend; die seltsame Wirkung wahrer Kunst kommt aus Selbstversenkung des Autors, die auf wunderbare, kaum entschlüsselbare Art aber doch präzise jenes Draußen spiegelt.
Der Autor schreibt nicht, er lässt einen Schmerz arbeiten, und im schönsten Falle lesen wir und es tut uns weh, wie die Welt beschaffen ist. Vielleicht kommt der Schmerz aus dem Bewusstsein, dass ein heute so gefeiertes, orgiastisch ausgelebtes Dasein als Individuum doch nur verbirgt, wie arm so vieles in und und um uns »reiche« Individuen geworden ist.
Ein Satz, wie ihn Trojanow sagt, kehrt nicht zufällig so in die Öffentlichkeit zurück, dass man ihn horchend aufnimmt, nicht misstrauisch abhorchend. Jede Zeit ist ein hartes Grenzregime: Es lässt Sätze herein oder nicht. Die jetzige Zeit sieht sich zu Einreiseerleichterungen für fordernde Sätze gezwungen, die alle stärker als bislang gespenstische Schlagwörter hereinschleppen: Kampf, Widerstand, Enteignung, Zerschlagung; sogar das Wort Revolution wird hie und da, in provokativer Lust, geschmuggelt.
Trojanows Satz hat die Naivität, die in jedem Beginn, in jedem Hinaustreten aus einer Tür am Morgen entspricht. Wer nicht daran glaubt, dass er die Schönste der Welt bekommen wird, muss sich doch gar nicht erst aufmachen in die Geschlechtsreife!
Ja, es muss anders werden. Und Kunst ist Waffe. Wie ein Musikinstrument, das man aber nicht wirft, sondern spielt. »Nach einem Cembalokonzert« heißt das Gedicht von Reiner Kunze: »Im gehör/ feingesponnenes silber, das mit der zeit/ schwarz werden wird// Eines tages aber wird die seele/ an schütterer stelle/ nicht reißen«. Hans-Dieter Schütt
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