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Abkehr von Agenda 2010?
Lisa Paus über von den Grünen angestrebte Steuererhöhungen / Die Grünen-Abgeordnete ist Mitglied und Obfrau im Finanzausschuss des Bundestages
ND: Der Leitantrag des Grünen-Vorstandes für den Parteitag in Kiel sieht vor, dass der Spitzensteuersatz ab einem Jahreseinkommen von 80 000 Euro auf 49 Prozent steigen und eine befristete Vermögensabgabe eingeführt werden soll. Sind die Grünen damit auf die SPD zugegangen, die ähnliche Forderungen erhebt und zu der das Verhältnis zuletzt gelitten hatte?
Paus: Im Gegenteil, wir hatten den Eindruck, dass die SPD eher aus unseren Plänen wichtige Punkte übernommen hat. So war die SPD z.B. unter Finanzminister Steinbrück noch gegen die Finanztransaktionssteuer. Der Staat braucht eine gesunde Einnahmebasis. Wichtig ist für uns auch die Abschaffung der Abgeltungssteuer, die Einkünfte aus Kapital begünstigt. Dort traut sich die SPD nicht so richtig ran, weil sie diese ungerechte und komplizierte Privilegierung von Finanzerträgen selbst eingeführt hat.
In der Partei sind sicherlich nicht alle glücklich mit dem Leitantrag. Einige Abgeordnete hatten sich auf eine Anhebung nicht über 45 Prozent ausgesprochen.
Dass es unterschiedliche Meinungen dazu gibt, sehe ich nicht negativ. Die Einigkeit ist aber recht groß. In der Finanzkommission der Fraktionsvorsitzenden von Bund und Ländern hatte sich eine große Mehrheit für einen höheren Spitzensteuersatz als 45 Prozent ausgesprochen. Mit der Vermögensabgabe wollen wir die reichsten ein Prozent daran beteiligen, die Schulden, die durch die Wirtschaftskrise entstanden sind - der IWF schätzt sie für Deutschland auf 100 bis 200 Milliarden Euro - abzubauen. Eine Finanztransaktionssteuer und die Erhöhung der Bankenabgabe, die wir auch wollen, werden dafür nicht reichen.
Haben Sie nicht Sorgen, dass die Grünen nun Besserverdienende als Wähler verlieren?
Aus Befragungen wissen wir, dass unsere Wähler eine sehr große Bereitschaft haben, zum Gemeinwohl beizutragen und Steuersenkungsvorschläge der Regierung ablehnen. Wir erleben auch, dass viele Staatsschulden als Hauptproblem wahrnehmen und Lösungen erwarten. Wir bieten Konzepte, mit denen die soziale Balance gewahrt bleiben kann.
Ihr Konzept ist auch eine Abkehr von Teilen der Agenda 2010, nach der Rot-Grün einst den Spitzensteuersatz auf 42 Prozent gesenkt hatte. Wird es diese Abkehr auch in der Sozialpolitik geben?
Ja. Wir diskutieren derzeit zum Beispiel über Reformen im Arbeitsmarktbereich, auch über die Abschaffung der Minijobs, die missbraucht worden sind.
Die Grünen wollen laut ihrem Green New Deal investieren. Welche Investitionen haben Ihrer Meinung nach Priorität?
Details diskutieren wir noch. Sehr wichtig sind der soziale Bereich und der Klimaschutz: Gebäudesanierung, 420 Euro Alg II, Garantierente und Kindergrundsicherung.
Die Grünen sind mehrheitlich für die Einhaltung der Schuldenbremse. Gilt das auch für den Fall, dass die Gefahr eines Konjunktureinbruches besteht?
Wir machen Vorschläge, die derzeit umsetzbar sind. Wir stellen die Schuldenbremse nicht zur Diskussion, weil dafür eine erneute Verfassungsänderung nötig wäre. Bestimmte konjunkturelle Impulse erlaubt auch die Schuldenbremse.
Fragen: Aert van Riel
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