Zwei Jahre nach dem Crash
Wie die fränkische Stadt Fürth die Insolvenz des Versandhändlers Quelle verarbeitete
Fürth. Erstarrte Gesichter aller Orten, Schrecken und Fassungslosigkeit: Als der Insolvenzverwalter am 19. Oktober 2009 das endgültige Aus für den Fürther Traditionsversandhändler Quelle verkündete, wähnte man sich in der Region am Abgrund. Doch zwei Jahre später verbreitet Oberbürgermeister Thomas Jung (SPD) Zuversicht: »Fürth ist heute sicher objektiv wirtschaftlich stärker. Wir haben mehr Beschäftigung, mehr Einwohner und eine niedrigere Arbeitslosenquote.« Kleiner Wermutstropfen: Würde es die Quelle noch geben, stünde die Stadt trotz aller Fördermillionen wohl noch besser da.
Jung wird auch nicht müde, auf zahlreiche Einzelschicksale zu verweisen. »Es gibt durchaus viele, die wirtschaftlich und sozial schlechter dastehen als vor zwei Jahren.« Etwa ein Drittel der ehemaligen Quelle-Beschäftigten, die eine zweite Chance bekamen, schufteten nun für weniger Gehalt. Andere bewarben sich vergeblich um einen neuen Job - so mancher muss sich ob dieser Perspektivlosigkeit nun psychologisch behandeln lassen. Im Großen und Ganzen aber fällt die Bilanz positiv aus. »Das hätte man damals garantiert nicht gedacht. Fünf Jahre waren die optimistischste Annahme, bis wir wieder auf den alten Stand kommen. Aber der große Absturz ist ausgeblieben«, berichtet OB Jung erleichtert. Das liegt sicher nicht nur, aber auch daran, dass die erwartete Welle an Folge-Insolvenzen bei den Zulieferern kam nicht.
Im Gegensatz zum Niedergang von Grundig blieben Massenentlassungen und Verelendung nach der Quelle-Insolvenz nur Schreckgespinste. Auch dank eines mehr als 100 Millionen Euro schweren Förderpakets, das die Landesregierung für die Region auf den Weg brachte. Das war vor allem psychologisch wichtig, brachte aber auch neues Leben nach Fürth: In die alte Quelle-Hauptverwaltung etwa zog das Landesamt für Statistik ein. Und in der Schickedanz-Villa wird demnächst eine Hochschule für Gesundheits- und Sozialwesen ihren Betrieb aufnehmen.
Ein nicht zu unterschätzendes Signal auch für das Selbstbewusstsein der Fürther. »Wir sind die einzige bayerische Großstadt ohne Uni oder Hochschule«, beschreibt Jung den Status quo. Mit der privat betriebenen Hochschule der Diakonie Neuendettelsau soll nun ein frisches Flair in die Stadt einziehen - und natürlich viele junge Menschen. Schon jetzt herrscht auf dem Wohnungsmarkt der Stadt spürbarer Druck. Denn seit der Quelle-Pleite sind in der Summe 2000 Menschen zugezogen - und nicht wie prognostiziert 1000 fortgegangen.
Auf ehemaligem Quelle-Grund entstehen deshalb derzeit unter anderem 300 neue Wohnungen - so wie überhaupt jede einzelne Immobilie des weit verzweigten Firmenimperiums bereits wieder anderweitig genutzt oder gerade umgebaut wird. So wird das ehemalige Retourenlager aktuell zu einem Gewerbehof mit 400 Arbeitsplätzen umgewandelt - 40 Prozent der Fläche sind bereits vermietet.
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