Der Bürgerschreck
Das Lichtblick-Kino präsentiert eine Claude-Chabrol-Retrospektive
Vor einem Jahr starb im Alter von 80 Jahren der große französische Filmregisseur Claude Chabrol. Privat war der bekennende Bonvivant und Pfeifenraucher ein charmanter, verschmitzter älterer Herr. In seinen Filmen dagegen deckte er schonungslos menschliche Abgründe im Allgemeinen und die des Bürgertums im Besonderen auf. Über 70 Filme hat der Altmeister und Mitbegründer der Nouvelle Vague gedreht: Große Filme und weniger gute Filme. Nun zeigt das Lichtblick-Kino eine kleine Retrospektive mit sieben Werken Chabrols aus den 1980er und 90er Jahren.
Von einem scheinbar jovialen Fernsehmoderator, der klammheimlich seine Adoptivtochter vergiftet, erzählt Chabrol in »Masken« (1986). Der Schein ist hier allgegenwärtig: Dass man sein Spiel durchschauen könnte, kalkuliert der arrogante TV-Star - Philippe Noiret verkörpert ihn mit scheinheiliger Grandezza - nicht mit ein. Nach einem atemberaubenden Finale auf einem Schrottplatz triumphieren in diesem Film schließlich die Guten - eher unüblich bei Chabrol.
Vielleicht auch deshalb, weil bei ihm Gut und Böse nicht säuberlich getrennt sind. Zwar bediente sich Chabrol meist des Krimi-Genres, um seine Geschichten von Lug, Trug und Gier zu erzählen. Doch Aufklärung im kriminalistischen Sinne interessierte ihn dabei weniger: Vielmehr bewegte er sich oft in Grauzonen und äußerte so seine Skepsis ob der Lernfähigkeit des Menschen.
So deckt in »Hühnchen in Essig« (1985) der verschlagene Inspektor Lavardin (Jean Poiret) ein Kleinstadt-Komplott auf. Doch dabei bedient er sich äußerst rabiater Methoden und lässt zudem einen Schuldigen laufen. Gehörnte Ehemänner, einfallsreich versteckte Leichen und geldgierige Honoratioren bevölkern diesen Krimi, den der Meisterregisseur wie so oft in dem übersichtlichen Universum der Provinz ansiedelt.
Chabrols Blick ist selten neutral: Er bezieht Stellung - gegen das Bürgertum und dessen (ungeschriebene) Gesetze, Rigidität und Verlogenheit. Die Ironie, ein bevorzugtes Stilmittel Chabrols, entfaltet sich besonders in seinen komisch-boshaften Dialogen und denunziert so ihre Sprecher.
Auch in »Die Farbe der Lüge« (1998) kommt eine Berühmtheit schlecht weg: »Ohne die Lüge wäre das Leben in der Gesellschaft nicht auszuhalten«, sagt darin der selbstgefällige Schriftsteller und Schürzenjäger mit dem so protzigen wie sprechenden Namen Germain-Roland Desmot (Antoine de Caunes): Er wird den Film nicht überleben. Im Zentrum des atmosphärisch dichten, in einer bretonischen Küstenstadt spielenden, Psychokrimis steht jedoch die Beziehung eines Malers und seiner Frau (Sandrine Bonnaire), deren Liebe aufgrund eines Verbrechens fast zerbricht.
Mit »Madame Bovary« (1990) verfilmte Chabrol recht klassisch den gleichnamigen Roman Gustave Flauberts, während »Inspecteur Lavardin« (1986) ein weiteres Abenteuer seines ermittelnden Protagonisten schildert.
Die erdrückende bürgerliche Atmosphäre ihrer Schwiegerfamilie wird in »Betty« (1992) der gleichnamigen Heldin (fast) zum Verhängnis. Chabrol zeichnet hier eine betuchte, nur auf Äußerlichkeiten bedachte Welt, unter deren Oberfläche Bigotterie und Grausamkeit lauern: Auch das anfängliche Opfer entpuppt sich letztlich als skrupellose Taktiererin.
Abgerundet wird die Retrospektive durch das auf Tatsachen beruhende Meisterwerk »Eine Frauensache« (1988). Mit einer Mischung aus Arglosigkeit und Berechnung - und doch emotionaler Tiefe - spielt die großartige Isabelle Huppert darin eine Hausfrau, die im Frankreich der Okkupation Abtreibungen durchführt und schließlich denunziert und hingerichtet wird. Präzise und stilsicher seziert der Regiemeister das Vichy-Regime und wie es Menschen zu Mitläufern und Kollaborateuren macht. Dabei erweist sich Claude Chabrol als das, was er trotz seiner Bissigkeit stets gewesen ist: als ein humanistischer Moralist.
Ab dem 20. Oktober in OmU im Kino Lichtblick, Kastanienallee 77; Tel.: (030) 44 05 81 79
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