»Machen Sie sich doch in die Hose«

Augenzeugenberichte vom Neuruppiner Polizeieinsatz gegen Antifaschisten

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 3 Min.

»Neben mir stand ein Diabetiker. Der musste dringend nach Hause«, berichtet eine Frau. »Er konnte sich ausweisen, er wohnte am Ende der Poststraße. Er musste spritzen. Da hat der Polizist zu ihm gesagt: ?Da kann ja jeder kommen.? Der Mann wurde blass, fing an zu zittern.«

Am 24. September versuchten Antifaschisten in Neuruppin, einen Naziaufmarsch mit einer Sitzblockade aufzuhalten. Die Polizei kesselte schließlich mehr als 300 friedliche Gegendemonstranten und sogar einige Passanten ein. Beamte packten rüde zu und schleiften einige Blockierer einfach weg. Es gab Verletzte. Das Agieren der Polizei sorgte für Empörung. Das Innenministerium hat versprochen, die Vorwürfe aufzuklären. Die CDU wartete dies nicht ab, sondern stellte sich bei einer aktuellen Stunde im Landtag gleich mal demonstrativ vor die Polizei.

Jetzt legten das Aktionsbündnis »Neuruppin bleibt bunt« und das beim Bildungsministerium angesiedelte Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit eine Zusammenfassung von Augenzeugenberichten vor. Enthalten sind auch etliche Fotos, zwei Lageskizzen und eine Chronologie der Ereignisse. Neben 19 Gedächtnisprotokollen und Zuschriften sind auch die Aussagen von 41 Menschen bei einem Forum am 29. September ausgewertet worden. Eingeflossen sind zudem Erlebnisse und Erkenntnisse der Landtagsabgeordneten Dieter Groß (LINKE) und Axel Vogel (Grüne) sowie der Bundestagsabgeordneten Kirsten Tackmann (LINKE). Die Herausgeber weisen vorsorglich darauf hin, dass die 31 Seiten umfassende Dokumentation keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebe. Man könne außerdem nicht ausschließen, »dass sich Irrtümer und Fehler eingeschlichen haben«. Die 31 Seiten Text stehen im Internet.

»Nur weil ich an der Demo teilgenommen habe, musste ich mich halbnackt ausziehen, musste sämtliche Taschen entleeren und musste über jedes bisschen, was ich in der Tasche hatte, Rechenschaft ablegen. Das kann doch nicht wahr sein auf dieser Welt«, wird ein älterer Mann zitiert.

Eine Zeugin schildert, wie sie in einem Gefangenentransporter aushalten musste: »Im Bus war es sehr heiß, getrunken hatte ich zum Frühstück um 9 Uhr das letzte Mal, so dass ich merkte, dass mein Kreislauf schlapp machte.« Niemand sei gekommen, um nach ihr zu schauen - »allerdings wurde der Ventilator eingeschaltet«. Eine Augenzeugin gibt zu Protokoll, dass nach ihrem Empfinden die Art und Weise der Auflösung der Sitzblockade zunächst in Ordnung gewesen sei, doch dann deutlich aggressiver wurde. »Auch die Griffe wurden härter von Seiten der Polizei.«

Ein junger Mann spricht von einem anderen jungen Mann, der einen Polizisten sehr emotional angesprochen und darauf hingewiesen habe, dass die Nazis früher Menschen umbrachten. »Die Antwort vom Polizisten war, ihm eine zu hauen. Also der hat ihm einfach, batsch, eine mitgegeben.« Ein Betroffener erinnert sich, wie er den Beamten sagte: »Ich muss auf Toilette, ich muss jetzt ganz dringend auf Toilette«. Was geschah daraufhin? »Da kamen einfach nur demütigende Antworten. Die haben das nicht zugelassen.« Ein anderer Betroffener erhielt die höhnische Auskunft: »Ist mir doch egal, machen Sie sich doch in die Hose.«

Die Aktionsbündnisse verlangen Aufklärung. Sie möchten unter anderem wissen, weshalb die Polizei sich bei der Feststellung von Personalien Zeit gelassen habe, weshalb sie Menschen stundenlang festhielt, sie nicht versorgte und nicht zügig Toiletten zur Verfügung stellte.

aktionsbuendnis-brandenburg.de

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -