Die ärmsten Kranken bleiben zurück
Globalisierung des medizinischen Fachkräftemarktes nutzt den Industrieländern
Die Engpässe bei Ärzten oder Pflegepersonal sind in den ärmsten Ländern am größten, aber Defizite in den Industrieländern verschärfen die Situation weltweit noch einmal. Das liegt an einem bekannten Phänomen, dem Braindrain. Der Begriff beschreibt die dauerhafte Emigration von Menschen mit Universitäts- oder Fachhochschulabschlüssen, oder genauer die Abwerbung meist hochqualifizierter Arbeitskräfte. Nun könnte aus der bequemen Perspektive des Nordens angenommen werden, dass diese Form der Globalisierung auch ein Gutes habe: Nicht nur werde die Versorgung in den Industrieländern gesichert, auch die gefragten Mediziner würden profitieren: Sie kämen in den Genuss besser bezahlter Jobs und einer sicheren fachlichen Perspektive, zudem könnten sie ihre Familien finanziell versorgen. Die Kehrseite davon sieht aber so aus, dass in den ärmsten 49 Ländern 3,5 Millionen Ärzte, Schwestern, Hebammen und kommunale Gesundheitsarbeiter fehlen. Der Mangel bei medizinischen Fachkräften ist in 61 Ländern kritisch, 41 davon befinden sich in Afrika. Der Kontinent trägt ein Viertel der globalen Krankheitslast, dort arbeiten aber nur drei Prozent aller Ärzte, Pfleger und Hebammen der Welt. Die Weltgesundheitsorganisation WHO erklärte 2006, dass für eine Basis-Gesundheitsversorgung je 10 000 Menschen mindestens 23 Ärzte, Schwestern und Hebammen nötig sind. Somalia erreicht hier einen Wert von 1,5 Fachkräften je 10 000 Einwohner, unter anderem mit der Folge, dass eines von fünf Kindern stirbt, bevor es fünf Jahre alt ist. Am anderen Ende der Statistik steht Norwegen: mit 188 Gesundheits-Profis auf 10 000 Einwohner. Hier stirbt nur ein Kind von 250 vor seinem fünften Geburtstag.
Die Abwanderung von Ärzten und anderen Fachkräften hat in der Regel mit einer besseren Bezahlung in anderen Ländern zu tun. Ein Mediziner aus Sambia kann in den USA das 25-fache Gehalt gegenüber dem in seiner Heimat verdienen. 81 Prozent der Krankenpflegerinnen aus Liberia arbeiten im Ausland. 2010 stellte das UN-Kinderhilfswerk UNICEF fest, dass in vielen Ländern Krankenschwestern gerade genug verdienen, um oberhalb der Armutsgrenze zu leben. In Pakistan verdienten Pflegerinnen umgerechnet weniger als 30 US-Dollar pro Monat, weniger als die Hälfte des Mindestlohnes in ihrem Land. Große Teile der auswanderungswilligen medizinischen Fachkräfte in afrikanischen Staaten gaben an, für bessere Entlohnung im Land bleiben zu wollen. Zu den Staaten mit der höchsten Auswanderungsrate von Ärzten gehören Haiti, Tansania, Sierra Leone, Angola und Mosambik. Die schlechte Bezahlung der Fachkräfte widerspiegelt die geringe Entwicklung des öffentlichen Gesundheitssektors in vielen Entwicklungsländern. Entwicklungshilfe in diesem Bereich konzentrierte sich bislang vor allem auf Medikamente und Impfstoffe, diese wiederum vor allem nur für ausgewählte Krankheiten wie Malaria, Tuberkulose oder Aids. Ohne Menschen, die eine Diagnose stellen oder ein Serum injizieren können, sind jedoch selbst diese Formen der Unterstützung nutzlos. Die ärmsten Länder können nicht einfach ihre Ausgaben in die öffentliche Gesundheitsfürsorge, darunter in die Ausbildung von Fachpersonal, steigern: Mangels einer gerechten Weltwirtschaftsordnung sind sie dazu häufig gar nicht in der Lage.
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