Internet-Pranger mit ersten Erfolgen
100 Tage »lebensmittelklarheit.de«
Als das Verbraucherportal »lebensmittelklarheit.de« im Juli startete, war das Interesse so groß, dass die Webseite wegen Überlastung nach nur wenigen Stunden zusammenbrach. Kein Wunder, bei bis zu 20 000 Zugriffen pro Sekunde. Das große Interesse an dem Portal ist verständlich. Denn hier können Verbraucher, die sich von der Lebensmittelindustrie getäuscht fühlen, einfach und unkompliziert Beschwerde einlegen. Wenn etwa ein Hersteller den Zusatz von Geschmacksverstärkern verschweigt oder mit Zutaten wirbt, die gar nicht im Produkt enthalten sind, kann man sich an das Portal wenden. Die dort tätigen Mitarbeiter bitten die Hersteller um Stellungnahmen und veröffentlichen dann alles auf der Webseite. Dabei ist »lebensmittelklarheit« so etwas wie ein Joint Venture: Betrieben wird die Webseite von der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Das Bundesverbraucherschutzministerium übernimmt mit 775 000 Euro einen Großteil der Kosten.
Am Donnerstag präsentierten Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) und vzbv-Vorstand Gerd Billen gemeinsam die 100-Tage-Bilanz des Portals. Aigner verteidigte die nicht unumstrittene Förderung durch ihr Ressort. »Die überwältigende Resonanz zeigt, dass es richtig und wichtig war, dieses Portal zu fördern«, so Aigner in Berlin. Wie Verbraucherschützer Billen erklärte, seien bislang mehr als 3800 Meldungen über verdächtige Lebensmittelkennzeichnungen eingegangen. Rund 920 davon hätte man bereits bearbeitet. Infolge dieser Eingaben hätten 27 Hersteller Änderungen bei Kennzeichnungen oder Rezepturen angekündigt, betonte Billen.
So entfernte der Chipshersteller Lorenz den Verpackungshinweis »ohne den Zusatzstoff Geschmacksverstärker«. Konsumenten hatten darauf hingewiesen, dass die Chips mit Hefeextrakt durchaus eine geschmacksverstärkende Zutat enthielten. Die Verbraucherzentrale sah dies genauso. Lorenz reagierte und änderte die Angaben - freiwillig.
Kritiker sehen in dieser Freiwilligkeit ein Problem. So begrüßte die Verbraucherpolitikerin Karin Binder (LINKE) zwar die durch das Portal angestoßene »öffentliche Debatte über den Etikettenschwindel«. Die Bundestagsabgeordnete kritisierte aber die Passivität von Ministerin Aigner, die »erst mal nur beobachten« wolle. Die LINKE fordert stattdessen »verbindliche Konsequenzen«. Auch Gerd Billen mahnte strengere Kennzeichnungsvorschriften an. Die Bundesregierung müsse ihren Beitrag leisten, »um Irreführung und Täuschung bei Lebensmitteln zu beenden«.
Aigner will nun die Leitsätze im Deutschen Lebensmittelbuch und die Arbeitsweise der entsprechenden Kommission »überprüfen« lassen. In den Leitsätzen werden Herstellung, Beschaffenheit oder sonstige Merkmale von Lebensmitteln beschrieben. Das Buch enthält aber keine Rechtsnormen, sondern liefert nur eine Orientierungshilfe.
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