Die LINKE war von ihren Kernaufgaben abgelenkt
»nd« befragte Gesine Lötzsch zum Ergebnis des Erfurter Programmparteitages und ihrer am Dienstag angekündigten Wiederkandidatur als Parteivorsitzende der LINKEN
ND: Wie lautet Ihr Fazit des Erfurter Parteitages?
Lötzsch: Der Parteitag war ein sehr großer Erfolg. Wir haben über anderthalb Jahre an dem Programm gearbeitet. Dabei sind viele neue Ideen hinzugekommen, zum Beispiel unsere Überlegungen zur Geschlechtergerechtigkeit, zur Solidarökonomie oder zur Bürgerbeteiligung. Wir haben mit diesem Programm Ansprüche an uns selbst formuliert, radikal-demokratische Ansprüche, Ansprüche nach Transparenz und Offenheit. Schließlich ist die Tatsache, dass dem Programm rund 97 Prozent der Delegierten zugestimmt haben, ein enormer Pluspunkt für das gemeinsame Wollen der LINKEN.
Etliche Medien sahen in dem Programm einen Linksruck, die Partei habe sich auf eine dauerhafte Rolle als Oppositionspartei festgelegt. Was sagen Sie dazu?
Mit dem Programm haben wir Klarheit geschaffen, was DIE LINKE will. Ein zentraler Punkt ist die Eigentumsfrage. Wir wollen tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen, mehr Gemeinschaftseigentum, mehr Genossenschaften. Die Krise des Kapitalismus bestätigt uns darin, dass radikaler gedacht werden muss. Und zum Grundsatzstreit über Opposition und Regierung sage ich: Erstens sind mögliche Reformbündnisse - in Hessen, in Nordrhein-Westfalen, im Saarland und in Thüringen - nicht an uns gescheitert, sondern daran, dass SPD, Grüne oder beide konservative Varianten vorgezogen haben. Zweitens: Unsere Beteiligung an Regierungen machen wir davon abhängig, ob Verbesserungen für unsere Wählerinnen und Wähler erreicht werden können. Drittens missfällt mir die Oppositionsverachtung, die aus einer solchen Wertung spricht. Opposition ist nicht Mist, sondern ohne Opposition gibt es keine Demokratie.
Sie haben zu Wochenanfang erklärt, wieder als Parteivorsitzende zu kandidieren. Was waren Ihre Beweggründe?
Noch am Abend des Parteitages haben Klaus Lederer und Wulf Gallert erklärt, nun müssen wir mal die Personalfragen klären und den Parteitag vorziehen. Darauf habe ich reagiert.
Beide haben dementiert, dass sie mit ihren Äußerungen die Personaldebatte neu angeschoben haben.
Aber warum sollte man den Parteitag vom Juni vorziehen? Doch nur, um die Personalfragen zu entscheiden. Beide hatten Redebeiträge auf dem Parteitag, sie hätten dort das Vorziehen des Parteitages fordern können, wenn ihnen das Votum des Parteitages wichtig gewesen wäre.
In Ihrer Erklärung haben Sie gesagt, Sie wollten damit Spekulationen um Ihre Person beenden. Um welche Spekulationen geht es?
Wir haben einen sehr erfolgreichen Parteitag hinter uns und ein Programm verabschiedet. Das war die wichtigste Aufgabe von Klaus Ernst und mir in den vergangenen 17 Monaten. Das sollten auch unsere Kritiker respektieren.
Warum haben Sie Ihre Absicht zur Wiederkandidatur nicht bereits auf dem Parteitag bekannt gegeben?
Ich habe auf dem Parteitag darüber gesprochen, wie ich mir die Umsetzung des Programms vorstelle.
Das beantwortet nicht, warum Sie den Delegierten Ihrer Partei nicht gesagt haben, was Sie zwei Tage später gegenüber der Presse mitteilten.
Ich habe auf dem Parteitag große Unterstützung für meine Positionen gefunden. Die Spielchen begannen unmittelbar nach dem Parteitag, darauf musste ich reagieren.
Und warum haben Sie das im Alleingang gemacht?
Es war eine klare Ansage. Das Monopolyspiel mit den Namen von Kandidaten sollten wir beenden und uns endlich wieder der Politik zuwenden. Das gilt auch für die Fraktion. Ich bedauere, dass wir am vergangenen Dienstag schon wieder eine lange Diskussion über die Struktur der Fraktion geführt haben und nur eine kurze über die Euro-Krise.
Die Frage war, warum Sie sich alleine erklärt haben, zumal der Parteitag gerade Ausdruck von viel Gemeinsamkeit war. Es geht ja weder beim Zeitpunkt noch bei den Personalentscheidungen des Parteitags um eine alleinige Causa Gesine Lötzsch. Warum gab es keine gemeinsame Erklärung von Ihnen und Klaus Ernst?
Alle, die von meiner Erklärung vorab wissen mussten, wussten Bescheid. Klaus Ernst respektiert meine Entscheidung und ich respektiere seine Entscheidung, sich jetzt noch nicht zu erklären.
Wer wusste Bescheid?
Jeder, der darüber Bescheid wissen musste, wusste Bescheid.
Heißt das, Sie haben den Parteivorstand vorab informiert?
Jeder, der darüber Bescheid wissen musste, wusste Bescheid. Ich kann diesen Satz auch gerne noch mal wiederholen.
Nicht nötig, wir haben ihn verstanden und werden ihn auch mehrfach drucken. Sorgt Sie nicht, dass Ihre Erklärung die Personaldebatte erst richtig anfachen könnte, statt sie zu beenden?
Nein, im Gegenteil. Meine Erklärung schafft Klarheit gegenüber den Mitgliedern der Partei. Jetzt kann ich mich wieder voll den inhaltlichen Themen widmen. Mein Hauptanliegen ist es, das beschlossene Programm umzusetzen.
Sind Sie überzeugt, dass die Probleme, in denen die LINKE steckt, durch das Programm allein überwunden werden können?
Als wir den ersten Entwurf im März 2010 vorstellten, gab es große Zweifel, ob es überhaupt gelingen würde, ein Programm gemeinsam zu beschließen. Nun haben wir es. Natürlich ändert sich dadurch nicht sofort alles. Aber es ist ein wichtiger Schritt. Entscheidend wird nun die Umsetzung des Programms sein. Da ist z. B. auf kommunaler Ebene viel möglich, gerade auch in der Eigentumsfrage. Wir müssen dafür sorgen, dass die Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge wieder in die öffentliche Hand zurückgeholt werden. Es geht darüber hinaus z. B. um Agrar- und Wohnungsgenossenschaften. Wir werden zeigen, was wir konkret erreichen können.
Diese Themen gab es bislang auch. Muss der Parteivorstand über mehr nachdenken, was im letzten Jahr dennoch nicht gut gelaufen ist für die LINKE?
Natürlich analysieren wir ständig, was wir besser machen können. Wir hatten bei einigen Landtagswahlen hohe Erwartungen, vielleicht waren die Maßstäbe nicht immer real. Wir müssen uns auch in den großen Flächenländern, z. B. im Südwesten, so verankern, dass wir vor Ort greifbar sind. Die Gründung der LINKEN im Zeitraum 2005 bis 2007 war eine von oben. Nun müssen wir die Partei von unten aufbauen, ihr Stabilität geben. Das dauert länger als von einigen erwartet.
Sehen Sie ein Führungsproblem in der Partei?
Für die öffentliche Wahrnehmung sind verschiedene Gremien verantwortlich, der Parteivorstand, Landesvorstände, die Bundestagsfraktion. Der entscheidende Auftrag an den Parteivorstand war die Erarbeitung des Programms - eine große Herausforderung, gemessen an seinen Ressourcen. Viele Mitglieder sind ehrenamtlich tätig. Der Vorstand muss sich auf wesentliche Punkte konzentrieren.
Nicht alles, was aus der Parteispitze kam, wurde in den Ländern als Unterstützung begriffen. Nach den unbefriedigenden Landtagswahlen dieses Jahres wurde von Gründen in Bund und Ländern gesprochen. Wo liegen die Ursachen auf Bundesebene?
Für viele Menschen war nicht mehr so deutlich, wofür wir stehen. Wir haben uns gelegentlich von unseren Kernaufgaben ablenken lassen.
Wodurch?
Ich nenne ein Beispiel: Wir hatten im Bundesvorstand eine klare Position zum Thema Antisemitismus erarbeitet. Die Fraktion hätte sich damit nicht über mehrere Sitzungen hinweg beschäftigen müssen.
Ist das Verhältnis zwischen Parteispitze und Fraktion gespannt?
Es ist verbesserungsbedürftig. Das sage ich auch selbstkritisch, denn ich bin ja Mitglied der Bundestagsfraktion.
Summarisch klingen Ihre Argumente ein bisschen wie: Es liegt etwas im Argen, außer an der Parteispitze. Ihre Kommunismusrede und anderes haben auch in Teilen der Partei Belastungen erzeugt.
Ich hätte es gut gefunden, wenn viele in der Gesellschaft diese Debatte selbstbewusst aufgegriffen hätten, wenn sie gesagt hätten: Ja, wir müssen in der schwersten Krise des Kapitalismus über Alternativen zum Kapitalismus nachdenken, wie wir diese Gesellschaft grundsätzlich verändern wollen.
Sie würden - jenseits der Attacken politischer Gegner und in etlichen Medien - keinen Fehler dabei einräumen?
Innerhalb der Partei gab es Diskussionen. Ich habe stapelweise Briefe und E-Mails bekommen, darunter heftige Kritik, aber auch entschiedene Zustimmung. Ich weiß, ich habe viele Menschen mit diesem Debattenbeitrag irritiert. Ich meine, wir müssen in der Gesellschaft auch mal Irritationen aushalten. Übrigens: Unser Programm ist mehr als eine Irritation, es ist eine Kampfansage an das herrschende Establishment.
Warum fällt es Ihnen leicht, über Fehler an anderen Stellen - wie Ihrer Ansicht nach in der Fraktion - zu reden und über Fragen nach Fehlern im Parteivorstand so hinwegzugehen?
Über Fehler im Parteivorstand geht niemand hinweg. Wir haben im Mai 2010 in einer äußerst komplizierten Situation einen Parteivorstand gewählt, der musste sich erst einmal zusammenraufen. Und die entscheidende Aufgabe, die der Parteivorstand zu erfüllen hat, ist die Umsetzung unseres Programms. Dabei haben wir die Unterstützung der Wahlkämpfe nie vergessen.
Zur Frage der Vorstandsneuwahl auf dem kommenden Parteitag in Göttingen gibt es den Vorschlag einer Mitgliederbefragung oder Urabstimmung. Unterstützen Sie diesen?
Nach dem Parteiengesetz muss der Parteitag den Parteivorstand wählen. Wir müssen entscheiden, ob wir dem ein Mitgliedervotum vorausgehen lassen. Ich bin offen für diesen Vorschlag.
Wie würde ein solches Mitgliedervotum dann konkret aussehen, sollten dazu alternative Personalvorschläge vorliegen?
Es gibt für Mitgliederentscheide satzungsmäßige Regelungen. Wir müssten eine Ordnung und einen Terminplan dafür vorschlagen. Bis zu einem bestimmten Zeitpunkt könnte sich jeder erklären, der kandidieren will. Dem sollten Aussprachen auf Regionalkonferenzen und anderen Treffen folgen, wo sich die Kandidaten präsentieren.
Das bedeutete vor dem Juni eine vermutlich über mehrere Wochen oder Monate laufende Debatte in der gesamten Partei über das zukünftige Personaltableau? Wäre das nicht eine Fortsetzung der allseits beklagten Selbstbeschäftigung?
Es wird die Debatten um die künftige Parteispitze sowieso überall in der Partei geben, auch wenn der Parteitag allein entscheidet. Es ist ein völlig normaler und demokratischer Vorgang, dass sich die Kandidaten zuvor in der Partei mit ihren Konzepten präsentieren.
Das Konstrukt der Doppelspitzen der LINKEN ist etwas kompliziert, es soll mehrfaches austariert werden: Ost-West, Mann-Frau, möglicherweise auch Flügelorientierungen. Wäre es da nicht plausibel, wenn sich von vornherein Teams bewerben, statt Einzelne, wie Sie es jetzt gemacht haben?
Wir haben ein Programm. Und danach sollten wir uns auch selber richten. Das Programm sagt: Wir sind radikal demokratisch. Und das ist nicht das Servieren von Tableau-Lösungen. Das ist übrigens auch eine zu beachtende Kritik, die 2010 massiv geäußert wurde, dass die Tableau-Lösungen nicht nachvollziehbar waren. Aber wichtig ist, dass nun jeder Klarheit schafft und sagt, was er will und was nicht, statt ständig Namen in die Welt zu posaunen. Mit meiner Kandidatur habe ich nun Klarheit geschaffen.
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