Seifenblasengrooves

Dota und die Stadtpiraten basteln Ohrwürmer aus Poesie und Politik

  • Antje Rößler
  • Lesedauer: 3 Min.
Dota und Band
Dota und Band

In der Ecke, am CD-Verkaufstisch steht ein Plakat von Klaus Wowereit. Über seinen Grinsemund wurde eine Banane geklebt. Dota Kehr ist nämlich sauer, dass wegen eines Stücks Autobahn die Koalition mit den Grünen platzt.

Dota ist zwar Musikerin - doch eine, die mit offenen Augen und Gerechtigkeitsgefühl durch die Welt geht. Schon ihr Künstlername »Kleingeldprinzessin« deutet an, auf welcher Seite die Sympathien der singenden Gitarristin liegen. Aufgelesen hat sie dieses Pseudonym während ihrer Weltreisen als Straßenmusikerin. Das ist nun schon gut ein Jahrzehnt her; inzwischen lebt Dota wieder in der Berliner Heimat. Am Freitag trat sie mit ihrer Band, den Stadtpiraten, im voll besetzten Postbahnhof auf.

Ihre Fans sind ein nettes, entspanntes Völkchen. Fast alle schaffen es, das Konzert durchzustehen, ohne Handy-Fotos zu machen. Sie passen halt zu Dota, die mit ihrem verwuschelten Pferdeschwanz und dem bequemen schwarzen Leinenkleid ganz natürlich wirkt. Ihre drei Stadtpiraten verzichten auf Rocker-Posen und schrammeln an Gitarre, Bass und Schlagzeug bodenständige Grooves.

Da eine ausgefeilte Bühnenshow hier sowieso fehl am Platze wäre, kommt der schönste visuelle Effekt aus dem Publikum: Mit einer leuchtenden Wasserpistole verschießt jemand Seifenblasen, die friedlich im Scheinwerferlicht schweben.

Dota und die Stadtpiraten spielten etliche Songs aus ihrem neuen Album »Das große Leuchten«. Auf dieser Platte vermischt Dota, die ihre Stücke selbst schreibt, mal wieder unbefangen die Genres: Chanson und Reggae, Rock, Pop und Liedermacherei.

Fast drei Stunden wogte das Publikum zum hüpfenden Reggae »Ohrsteckermädchen« oder zur anrührenden Ballade »Nur dein liebes Gesicht macht mich zuhause auf der Welt.«

Man kann nicht behaupten, dass Dota und die Stadtpiraten mit ihrer schlichten, ohrwurmtauglichen Musik das Rad neu erfänden. Originell sind aber die hintergründigen, zwischen Wortwitz und Tiefsinn pendelnden Texte. In »Tempomat« geht es um die hektische Zersplitterung des Alltags. »Fluch des Schlaraffenlands« wiederum malt ein Bild gelangweilten Wohlstandsüberdrusses.

Zeitkritische Spitzen piksen bei Dota immer wieder durch. Die Zeile »Ich habe viel zu viel Ärger und viel zu wenig Wut« johlt der ganze Saal mit. Dann wieder zitiert Dota den an die Yorkbrücke gepinselten Slogan »Es geht nicht um ein Stück vom Kuchen. Es geht um die ganze Bäckerei.« Wobei bei Dota derartige Kritik stets Hand in Hand mit Aktion geht: Diesmal werden im Saal Unterschriften für die Petition »Berlin geht anders« gesammelt, die eine rot-schwarze Koalition verhindern will.

Da möchte man es kaum glauben, dass Dota aus einer wohlsituierten Zehlendorfer Familie stammt und Medizin studierte. Durch ihre Musik konnte sie sich wohl abgrenzen von all der bürgerlichen Harmonie. Heute lebt sie am Görlitzer Park, wo sie natürlich viel besser hinpasst. Und doch profitieren ihre hellsichtigen Lieder davon, dass sie ganz verschiedene soziale Sphären kennt.

Dota gelingt die Gratwanderung zwischen rückhaltloser Beseeltheit und ironischer Skepsis. Die Sängerin nimmt Ungerechtigkeiten aufs Korn und bewahrt sich das Staunen über die Schönheiten dieser Welt. Sie hat den Glauben an einen Raum für Träume, für Kunst und Poesie nicht verloren.

Längst ist Dota kein Geheimtipp mehr. Sie hat inzwischen zehn Alben aufgenommen und wurde vom Goethe-Institut zu Tourneen eingeladen. Korrumpieren lässt sie sich aber durch solche Erfolge nicht. Nach wie vor arbeiten sie und die Stadtpiraten unter Eigenregie und lehnen einen Plattenvertrag ab.

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