Nicht genug Betten für Obdachlose
In den Notübernachtungen mangelt es für den Winter an Platz, weil immer mehr Menschen auf die Straße gedrängt werden
Florian Ernst trägt noch Matratzen durch den Raum. Dann schaut er noch nach dem neuen Wäschetrockner. Die Zeit drängt. Ab heute will das Sozialunternehmen Gebewo in den Räumen in der Teupitzer Straße in Treptow erstmals eine Notübernachtung für Obdachlose anbieten. Bis zu 24 Menschen sollen dann auf Matratzen in den zwei frischrenovierten Räumen schlafen können. Es gibt zwei Bäder, einen Essensraum. Ernst ist der Koordinator der Notübernachtung.
Die Räume werden in den Nächten dieses Winters für alle offenstehen, die keine Bleibe haben und sonst frieren müssten. Wenn alles gut läuft, wird die Einrichtung in der Nacht von Ehrenamtlichen betreut. »Das sind dann vor allem Studierende der Sozialpädagogik«, erzählt Ernst.
Doch trotz zwei neuer Einrichtungen wie dieser für den Winter schlagen Berliner Wohltätigkeitsorganisationen jetzt Alarm: Täglich werden in diesem Winter 73 Obdachlosen-Plätze fehlen, das sind rund 11 000 Übernachtungen im Jahr, hat Susanne Kahl-Passoth, Direktorin beim Diakonischen Werk, ausgerechnet. Da der Winter hart werden soll, befürchten die Verbände nun, dass wieder Obdachlose auf der Straße erfrieren könnten. Zuletzt war 1994 ein Obdachloser in Berlin erfroren. In der Folge gründeten mehrere Organisationen die »Berliner Kältehilfe«, ein Netzwerk aller Angebote für Obdachlose in der kalten Jahreszeit.
Die Wohnungssituation in Berlin habe sich »dramatisch zugespitzt«, sagt Kahl-Passoth. Viele Mieten seien gestiegen, der landeseigene Bestand werde abgebaut und kaum noch Sozialwohnungen gebaut. Außerdem würden vermehrt Mietwohnungen in Eigentum- oder Ferienwohnungen umgewandelt. Viele Menschen könnten sich wegen des Mangels, wenn sie Schufa-Einträge haben oder keine Mietschuldenfreiheitsbescheinigung bekommen, keine Wohnung mehr mieten.
Ekkehard Hayner von der Gebewo sieht ein großes Problem im Bereich der Mietübernahmen durch die Jobcenter. Seit sieben Jahren habe sich die Miete, die die Jobcenter für die ALG-II-Empfänger übernehmen, nicht geändert, die Mieten seien aber stark gestiegen. Viele Transfer-Empfänger müssten nun aus dem kargen Regelsatz für die Miete zuschießen. In Friedrichshain-Kreuzberg betreffe das rund ein Drittel der Haushalte, wie eine Befragung herausgefunden hat. Laut Hayner fehlen in Berlin 125 000 Wohnungen im günstigen Segment, das vor allem für ALG-II-Empfänger und Geringverdienende wichtig ist. Insgesamt zählen in Berlin etwa 400 000 Menschen zu dieser Gruppe.
Die im Netzwerk »Berliner Kältehilfe« zusammengeschlossenen Organisationen fordern nun vom Senat und den Bezirken Maßnahmen, um die Situation auf dem Wohnungsmarkt zu entspannen und bieten ihre Kooperation an.
Doch auch wenn Übernachtungsplätze fehlen, werden in den Notübernachtungseinrichtungen keine Frierenden abgewiesen. In der Teupitzer Straße werde man, so versichert Florian Ernst, versuchen, die Person in einer anderen Einrichtung mit freien Plätzen unterzubringen. Auch bei der Stadtmission im Hauptbahnhof gilt der Grundsatz, dass niemand draußen in der Kälte bleiben muss. »Wir rücken halt zusammen«, sagt Ortrud Wohlwend, die Sprecherin der Stadtmission.
Gleichzeitig mit der Öffnung der Notübernachtung in diesem Winter wird ab heute auch der Kältebus unterwegs sein und nach Personen Ausschau halten, die Hilfe brauchen. Seit zwei Jahren fährt Artur Darga an fünf Nächten der Woche mit dem Kältebus durch Berlin. In Berlin könne man unmöglich in einer Nacht überall hinkommen, sagt er, aber er kennt die Orte, wo öfters Obdachlose anzutreffen seien. Außerdem würden auch Nachbarn oder Passanten beim Kältebus anrufen, wenn sie einen Obdachlosen in der Kälte liegen sehen. Er fährt die Personen dann in eine Notübernachtung. Manchmal würde es auch reichen, heißen Tee, eine Decke oder warme Schuhe auszuteilen. »Obdachlose kommen sich häufig vor, als wären sie durchsichtig«, sagt Darga. Darum seien sie so froh, wenn jemand speziell wegen ihnen da ist und sich kümmert. Sie freuen sich dann auch über den schicken Bus und tauen auch innerlich auf.
Ab heute jeden Tag für Berlin zwischen 19 und 23 Uhr geschaltet: Kältetelefon unter (030)-810560425
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.