Aus den Müllsäcken tropft das Blut
Seit acht Wochen streiken Mitarbeiter der Charité
Kalter Wind weht den Streikenden vor dem imposanten Bettenhochhaus der Charité um die Ohren. Auf dem zugigen Platz vor einer der größten Unikliniken Europas haben sie ihren Posten aufgebaut. Mit Kaffee halten sie sich warm und mit Sprechchören in Stimmung: »Wir sind hier! Wir sind laut! Weil man uns die Löhne klaut!« Seit Wochen geht das schon so, doch die Wut bei den Mitarbeitern der Charité-Servicetochter CFM ist ungebrochen.
Aus Kostengründen hat die Charité 2006 die Charité Facility Management GmbH (CFM) gegründet. Deren rund 2600 Mitarbeiter arbeiten ohne Tarifvertrag und erledigen viele nicht-medizinische Dienstleistungen billiger als andere Firmen. Seit gut acht Wochen streiken etwa 200 Mitarbeiter, weil Löhne und Arbeitsbedingungen aus ihrer Sicht nicht das Spitzenniveau erreichen, das eine der größten Uni-Kliniken Europas für sich proklamiert. Sie wollen einen Tarifvertrag für alle CFM-Beschäftigten und höhere Löhne.
»Ich kann nicht mehr mit gutem Gewissen zur Arbeit gehen. Überall wird gespart. Ständig sind Geräte kaputt«, sagt eine Mitarbeiterin aus der Sterilisation, die sich über Krankenhauskeim-Diskussionen nicht mehr wundert. Hinzu kämen körperliche Schwerstarbeit im Drei-Schicht-System und ein Bruttolohn von 1300 Euro, der kurz vor dem Arbeitskampf auf rund 1700 Euro erhöht wurde. »Damit wollten die uns vom Streik abhalten.«
Doch mit einer kurzfristigen Lohnerhöhung, die laut Gewerkschaft ver.di jederzeit wieder gestrichen werden kann, wollen sich die Streikenden nicht begnügen. Auch ein Kollege aus dem Sicherheitsbereich nicht. Er bekommt 1015 Euro bei einer 42-Stunden-Woche. »Da kann ich die 24 Tage Urlaub auf meiner Couch verbringen«, sagt er. Kollegen, die nicht streiken, sei der Lohn zwar von 6,55 Euro auf 7,50 Euro erhöht worden, doch dafür habe es an anderen Stellen Abzüge gegeben.
Die Folgen des Streiks kann die CFM laut Geschäftsführer Toralf Giebe mit geänderten Schichtplänen und Zeitarbeitsfirmen »sehr gut kompensieren«. Doch die Zeitarbeitsfirmen stehen in der Kritik. Deren Mitarbeiter seien etwa für die Krankenhaus-Reinigung nur dürftig geschult worden, sagt ver.di-Gewerkschaftssekretär Uwe Ostendorff. Außerdem wirft er der CFM vor, Streikende einfach zu versetzen oder auslaufende Verträge nicht zu verlängern - trotz Neuausschreibung der Stellen. Giebe weist die Kritik zurück.
Um die hygienischen Zustände zu dokumentieren, hat ver.di im Internet Bilder von Müllsäcken, aus denen Blut läuft, veröffentlicht. Doch Blut sei in einem Krankenhaus gerade nach Operationen keine Besonderheit, sagt Giebe.
Wie lange der Streik noch dauert, ist ungewiss. Die Gespräche zwischen CFM und Gewerkschaften wurden abgebrochen. Beide Seiten sagen zwar, verhandlungsbereit zu sein, doch unter verschiedenen Bedingungen. »Wir setzen uns für alle Mitarbeiter ein, nicht nur für einzelne Gruppen«, sagt Ostendorff. Die CFM habe hingegen versucht, Verträge mit einzelnen Mitarbeiter-Gruppen abzuschließen.
Giebe erklärt immer wieder, die Löhne seien »branchenüblich«. Den Mitarbeitern sei ein »umfassendes Angebot« unterbreitet und größtenteils umgesetzt worden. Das Angebot betrifft aber nur einige der 18 Gruppen.
Die Sprecherin der Charité-Mutter, Stefanie Winde, betont, Klinik und Tochterfirma seien die Hände gebunden. »Wir müssen für die Dienstleistungen den preiswertesten Anbieter nehmen, sonst bekommen wir Ärger mit dem Land.«
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