»Lügendetektor« für Regierungen

Studie der TU Ilmenau lässt vermuten, dass nicht nur Griechenland Finanzdaten geschönt hat

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit Hilfe einer mathematischen Regel lassen sich Anhaltspunkte für statistische Schummeleien finden.

Immer wieder in den vergangenen Monaten gab es in Medien die Empörung darüber, dass die griechische Regierung - unter Mithilfe der US-Investmentbank Goldman Sachs - einst falsche Daten nach Brüssel übermittelt hat, um die schlechte Finanzlage des Landes zu verschleiern. Dabei hätte man schon vor zehn Jahren bei der Aufnahme Griechenlands in den Euroraum feststellen können, dass mit den griechischen Zahlen etwas nicht stimmt. Denn es gibt eine Art mathematisches Frühwarnsystem, mit dem sich die Güte von Wirtschaftsdaten zumindest qualitativ abschätzen lässt. Es ist unter dem Namen »Benfordsches Gesetz« bekannt und besagt, dass die Zahlen in umfangreichen Statistiken viel öfter mit kleinen als mit großen Ziffern beginnen. Demnach wäre die Zahl 13 425 dort häufiger zu finden als 93 425.

Dieses auf den ersten Blick verblüffende Phänomen wurde 1938 von dem US-Physiker Frank Benford beschrieben, der zuvor in Büchern mit Logarithmentafeln geblättert hatte. Weil die vorderen Seiten darin deutlich abgegriffener waren als die hinteren Seiten und also die mit der Ziffer Eins beginnenden Zahlen öfter gebraucht wurden, folgerte er, dass die Eins in empirischen Datensätzen viel häufiger als jede andere Ziffer am Zahlenanfang stehe.

Diese Hypothese konnte seitdem an Hand von echten Statistiken zu Flusslängen, Einwohnerzahlen, Sparguthaben etc. vielfach bestätigt werden. Rund 30 Prozent aller Zahlen beginnen darin mit der Ziffer Eins. Anschließend geht es rapide abwärts. Die Zwei taucht nur bei 18 Prozent aller Zahlen am Anfang auf und die Neun bei weniger als fünf Prozent. Datensätze, die eine wesentlich andere Verteilung zeigen, sind verdächtig, irgendwie manipuliert worden zu sein.

Ausgehend davon hat ein Wissenschaftlerteam um Gernot Brähler von der TU Ilmenau den Benford-Test jetzt auf die Haushaltszahlen und makroökonomischen Daten aller EU-Staaten zwischen 1999 und 2009 angewandt. Die Forscher analysierten für jedes Land 156 verschiedene Zahlenwerte wie Schuldenstand, Bruttoinvestitionen und Gesamtausgaben des Staates. Dabei stellten sie die größten Abweichungen von der Benford-Verteilung wie erwartet im Fall von Griechenland fest. Aber auch Belgien und Österreich schneiden kaum besser ab, während Deutschland einen Platz im Mittelfeld der Euro-Staaten belegt. Das lässt zumindest vermuten, dass auch deutsche Wirtschaftsdaten das Ergebnis einer »kreativen Buchführung« sind, um es milde auszudrücken. Ganz oben auf der »Vertrauensskala« stehen die Niederlande und Polen. Denn in den Daten dieser Länder haben Brähler und seine Kollegen die geringsten Abweichungen von der Benford-Verteilung gefunden.

Bei alldem bleibt natürlich zu bedenken, dass das Benfordsche Gesetz kein Gesetz etwa im Sinne der Physik ist, sondern eher eine mit Zufälligkeiten behaftete Regel. Es könne daher nur als erster Indikator für mögliche Schummeleien dienen, sagen die Forscher. Das heißt: Die damit erzielten Ergebnisse müssen unabhängig von der Statistik fachspezifisch bestätigt werden.

Welches Potenzial ein solches Vorgehen in sich birgt, zeigt auch folgendes Beispiel: Bei den US-Präsidentschaftswahlen im Jahr 2000 stand die Verteilung der Stimmzahlen für George W. Bush in Florida deutlich im Widerspruch zum Benfordschen Gesetz. Doch das bemerkte man erst später, denn Benfords Untersuchungen waren selbst unter Statistikern bis vor Kurzem noch weitgehend unbekannt.

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