Lachendes Prekariat

Das Arabische Filmfestival zeigt Filme über den Umgang mit Elend in Tunesien oder Ägypten

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.

Die einen sind die Hefe der arabischen Revolutionen. Die anderen suchen nur einen Weg, sich so durchs Leben zu schlagen, dass ihnen das Lachen auf den Lippen nicht erstirbt. Manchmal werden die einen auch zu den anderen. Auf dem Arabischen Filmfestival sind einige Beiträge vertreten, die jene Bevölkerungsschichten zu Protagonisten machen, bei denen auch eine abrupte Demokratisierung kaum zu einer umwälzenden Veränderung ihrer Lebensverhältnisse führen würde. Sie geben Einblicke in ein lachendes arabisches Prekariat.

Kazmet, ein Armenviertel der tunesischen Touristenmetropole Sousse. Ein Mann wird erschossen. Eine Kamera hält die Szene fest. Der Schütze ritzt sich in den Unterarm und presst aus der Schnittwunde etwas Blut. Das verteilt er auf dem Opfer. Der Kameramann filmt die blutigen Stellen. Der vermeintliche Tote erhebt sich vom Erdboden. Lachend wischt er das Blut ab. Lachend verbindet der Schütze, der sein eigenes Blut auf dem Opfer verteilt hat, seine Wunde. Denn er ist Filmemacher und Actionheld. In diesem Vorort von Sousse dreht er die Filme nach, die seine Jugend geprägt haben - »Tarzan« und »Zorro«, »Frankenstein« und »Dracula«. Er lädt Freunde, Nachbarn und Fremde ein, in diesen Filmen mitzuspielen. Und weil er, der Anstreicher Moncef Kahloucha, kein Geld für ein ordentliches Budget hat, ja nicht einmal für Kunstblut, nimmt er eben sein eigenes Blut und verteilt es auf seinen Filmopfern. Die Narben auf seinem Unterarm legen Zeugnis davon ab, dass er öfter Blut brauchte.

Der tunesische Dokumentarist Néjib Belkadhi hat den Undergroundfilmer Kahloucha bei dessen Dreharbeiten zu »Der Tarzan der Araber« begleitet. Er wird Zeuge, wie Kahloucha einen Jungen überzeugt, ihm sein Mofa für Dreharbeiten zu borgen. Belkadhi ist dabei, wie Kahloucha in einem Fitnesscenter unter massigen Männer die Bösewichter seines Films castet. Belkadhi interviewt eine Darstellerin aus Kahlouchas Filmen, die sich aus ihrem Haus stiehlt, damit ihr Mann nicht mitbekommt, dass sie zu den Dreharbeiten eilt. Denn er würde es verbieten. Und er verbietet es später auch, nur um dann nachzugeben, und schließlich, als der Film fertig gedreht und geschnitten ist, mit seinem Megafon durch den Ort zu fahren und die Einwohner zur Filmpremiere einzuladen. Dort sitzen dann die Männer zu Hunderten, und lachen sich das Wasser aus den Augen, wenn sie den Anstreicher Kahloucha als gellend schreienden Tarzan erblicken. Sie brechen in tosendes Gelächter aus, wenn sie ihre Nachbarn als Bösewichter erkennen, darüber fachsimpeln, von wem welches Gefährt in dem Film stammt.

Belkadhi, der seriöse Dokumentarfilmer, porträtiert ein Armenviertel, das über sich selbst lachen und sich zu Solidarität aufraffen kann, wenn es um die verrückten Dreharbeiten eines der Ihren geht. Belkadhi zeichnet aber auch die Grenzen jener Solidarität auf. Frauen, selbst wenn sie als Schauspielerinnen an dem Film mitgearbeitet haben, kommen zur Filmpremiere nicht in das Kaffeehaus, denn das Kaffeehaus ist ein Haus für Männer. Da kann Kahloucha noch so oft sein Kassenpersonal instruieren, dass Frauen freien Eintritt hätten. Sie betreten diesen öffentlichen Ort einfach nicht. Sie können nur darauf hoffen, dass bald Kopien des Films im Viertel zirkulieren.

Belkadhis Verdienst ist es, auch diese Widersprüche festgehalten zu haben. Und er geht noch einen weiteren Schritt: Er begleitet Leute aus dem Viertel, die nach Italien emigrieren. Sie haben den neuesten Film von Kahloucha im Gepäck, um ihn dort, in der Fremde, ihren Landsleuten zu zeigen. Die wechseln angesichts der vertrauten Bilder von Lachen zu Heulen und wieder zurück und vergessen für eine gute Stunde das Heimweh, das sie sonst in den Fängen hält. (»VHS Kahloucha« Tunesien, 2009, wieder am 7.11., 22 Uhr, Babylon).

Ein wenig ab fällt im Vergleich zu diesem Film »Les Barons« (2009, Belgien), das Porträt einer arabischen Männergang in Brüssel, deren Philosophie es ist, am besten nichts zu tun, weil jedes Tun den Menschen dem Tode ein Stück näher bringt. Ein charmanter Taugenichts ist auch der Musiker Sheikh Hosni, der sich in einem Vorort Kairos von kaum mehr als der Musik, viel Haschisch und den Gerüchten der Nachbarschaft ernährt («El Kit Kat», Ägypten, 1991, wieder am 7.11., 20 Uhr, Babylon).

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