Ausreißer sind meist schnell zurück
Täglich verschwinden in Berlin im Durchschnitt zwölf Kinder
Viel Arbeit für die Vermisstenstelle des Landeskriminalamtes (LKA): Im vergangenen Jahr wurden in Berlin 1322 Kinder und 3161 Jugendliche vermisst gemeldet. Damit verschwanden pro Tag durchschnittlich zwölf Minderjährige. Doch der Großteil der Fälle findet schnell ein gutes Ende. »Was die ganze Sache dramatisch entkrampft: Annähernd 99 Prozent der Vermissten kommen von selbst wieder«, sagte der Leiter des LKA-Dezernats, zu dem die zentrale Vermisstenstelle gehört, Kriminaldirektor Hans-Joachim Blume, der Nachrichtenagentur.
Es komme durchaus vor, dass Kinder für ein paar Tage zu Freunden gehen - ohne ihren Eltern etwas zu sagen. Es gebe auch »Dauerausreißer«, die Dutzende Male von zu Hause wegliefen. Und manch verschwundener Erwachsene wolle schlicht und einfach ein neues Leben beginnen. »Das darf er auch« - solang er keine Schulden zurücklässt.
Auf dem Tisch der Vermisstenstelle landen die Fälle, die nach zehn Tagen noch nicht geklärt sind. 2010 waren dies 210 Jugendliche und 188 Erwachsene. Lediglich bei Kindern übernimmt von Anfang an das LKA. Vor allem wenn die Vermissten noch sehr jung sind, horchen die Ermittler auf. »Dann schrillen alle Alarmglocken.«
Manche Fälle verlaufen dramatisch: Viele Indizien deuten auf eine Straftat hin, aber das Schicksal der Verschollenen bleibt auch Jahrzehnte später ungeklärt. Sie landen mit Fotos auf der Internetseite des LKA. 17 Personen sind dort zurzeit aufgelistet - darunter viele Fälle, die für Schlagzeilen sorgten. Zum Beispiel der Schüler Manuel Schadwald, der 1993 auf dem Weg ins Freizeit- und Erholzungszentrum Wuhlheide verschwand. Oder die damals 14 Jahre alte Georgine, die im September 2006 nahe der Wohnung ihrer Eltern in Moabit aus einem Bus stieg, aber niemals zu Hause ankam.
Für die Familien der Opfer bedeutet dies einen Albtraum, der sie lange Zeit nicht loslässt. »Wenn Angehörige keine Erklärung bekommen, können sie das auch nicht verarbeiten«, sagte Hans-Joachim Blume. »Das kann zu verschiedenen Störungen führen«, erläuterte Stefan Röpke, Oberarzt an der psychiatrischen Klinik der Charité. Manche Betroffenen flüchteten sich in Alkohol und Drogen, andere litten unter Schlafstörungen oder Depressionen. Nach dem Verschwinden eines Kindes gingen bisweilen auch Beziehungen in die Brüche.
Vor allem die Schuldfrage treibe Betroffene um: Hat einer der Partner nicht genug aufgepasst? Hinzu komme die Hilflosigkeit gegenüber dem Geschehen: »Das können wir Menschen extrem schwer aushalten«, sagt Röpke. Irgendwann müsse es in der psychiatrischen Betreuung von Angehörigen darum gehen, den Verlust zu akzeptieren.
Denn die Hoffnung, dass Altfälle geklärt werden, sei gering. Das sei extrem selten, sagte Hans-Joachim Blume. Trotzdem: Die Akten der Vermissten blieben 30 Jahre beim LKA; beim Verdacht einer Straftat sogar noch länger. »Mit zunehmenden kriminaltechnischen Methoden lohnt es sich, immer wieder auch alte Fälle nochmals anzupacken.«
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