Polizist »in preußischer Pflicht«

In der Reichspogromnacht 1938 rettete Wilhelm Krützfeld die Neue Synagoge vor der Zerstörung

  • Rainer Funke
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein ungewöhnliches Bild in der Eingangshalle des Polizeipräsidiums am Platz der Luftbrücke. Mitten in dem sonst wenig einladenden Säulenkonstrukt steht ein von Gerhard Hoffmann gestaltetes Kunstwerk - ein leuchtend rotes Herz auf einem tiefschwarzen Sockel mit der Aufschrift »Es gibt Liebe, warum hasst Du?« Bei einer Performance aus Rezitation, Gesang und Tanz rings um das Ensemble ehrten die Berliner Polizei und die Jüdische Gemeinde zu Berlin am späten Montagnachmittag den Polizeioberleutnant Wilhelm Krützfeld. Gleichermaßen wollte man an die in der Reichspogromnacht am 9./10. November 1938 ermordeten jüdischen Bürger sowie die Zerstörung ihrer Einrichtungen und Geschäfte erinnern.

Die Ausstellung selbst ist von bescheidenen Maßen. Man weiß nicht allzu viel über Krützfeld. Womöglich hätte man gar nichts von ihm gehört, wenn nicht Schriftsteller Heinz Knobloch vor Jahren recherchiert hätte. Demnach erreichte den Polizeioberleutnant in jener Nacht ein Anruf, dass SA-Leute dabei waren, die Neue Synagoge in der Oranienburger Straße anzuzünden. Die NS-Führung hatte den Volkszorn gegen alles Jüdische ausgerufen.

Krützfeld, Leiter des Polizeireviers 16 am Hackeschen Markt, eilte mit einer Handvoll Beamter zum Tatort, trieb den SA-Trupp zurück, wie berichtet wird, gar mit gezogenen Waffen. Er ordnete die Feuerwehr an zu löschen, obwohl die Männer an den Spritzen die Weisung hatten, nur dort einzugreifen, wo die Flammen auf andere Gebäude übergreifen würden. Die Brandherde konnten eingedämmt, die Synagoge gerettet werden. Neun andere in Berlin sanken in Schutt und Asche.

Überliefert ist, dass der damalige Berliner Polizeipräsident Wolf Heinrich Graf von Helldorff am nächsten Tag den Revierleiter zu sich befahl. »Wie konnten Sie den gesunden Volkswillen behindern?« soll er ihn angeherrscht haben. Und Krützfeld habe erwidert: »Bei einem kommandierten SA-Trupp kann von aufgebrachtem Volkswillen nicht die Rede sein. Die Synagoge steht wegen ihres maurischen Baustils und der kostbaren Einrichtung seit jeher unter Polizeischutz, da sie ein Stück Kulturgut des Deutschen Reiches ist.« Und er verwies auf die an diesem Tage erschienenen Zeitungen, in denen sich »der Führer und die Reichsregierung« von den »bedauerlichen Brandschatzungen und Plünderungen« distanziert hätten. Von Helldorff soll etwas von außenpolitischen Rücksichten gemurmelt und den Revierleiter gehen lassen haben.

Schließlich wird berichtet, dass Krützfeld und einige seiner Leute jüdische Bürger gerettet hätten, indem sie sie von einer bevorstehenden Verhaftung warnten. Von seinen Motiven weiß man bis heute so gut wie nichts, spricht davon, dass er wohl »in preußischer Pflichterfüllung« gehandelt habe. Der Polizeioberleutnant wurde mehrfach versetzt und quittierte 1943 den Dienst. Ab 1945 wurde er wieder Polizist und führte die Inspektion Mitte im sowjetischen Sektor. Eine Gedenktafel an der Neuen Synagoge erinnert an Krützfeld, der auf dem Friedhof III der Georgen-Parochialgemeinde in Weißensee in einem Ehrengrab bestattet ist.

Im Beisein von Innensenator Ehrhart Körting würdigte Lala Süsskind, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, die mutige Tat des Wilhelm Krützfeld, die damals ein Einzelfall gewesen sei. Die Polizei hatte sich längst zum willigen Machtzentrum der Nazis entwickelt, so Süsskind. Sie bedauerte, dass Synagogen noch in unseren Tagen vor Übergriffen geschützt werden müssen.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -