Blutvergießen in Syrien findet kein Ende
Aussichten auf Erfolg des Friedensplans der Arabischen Liga schwinden
In der Provinz Hama, einer Hochburg der syrischen Aufständischen sind nach Angaben der Opposition am Mittwoch erneut sechs Menschen ums Leben gekommen. Sicherheitskräfte hätten Wohngegenden unter Beschuss genommen, hieß es in unbestätigten Berichten. Während es scheint, als hätten Proteste und Auseinandersetzungen in anderen Teilen des Landes während des gegenwärtigen Opferfestes Eid al-Adha nachgelassen, meldeten oppositionelle Webseiten mehr als 100 Tote in der vergangenen Woche. Staatliche Stellen geben dagegen täglich die Zahl der beerdigten Soldaten und Sicherheitskräfte an: Seit Anfang November waren es 48.
Der russische Außenminister Sergej Lawrow hatte am Montag dazu aufgerufen, dem Plan der Arabischen Liga eine Chance zu geben. Syrien habe eine erste Gruppe von Gefangenen freigelassen und eine Amnestie für desertierte Soldaten und diejenigen verkündet, die sich den Behörden stellen. Das sei »ein wichtiger Schritt«, hieß es in der Stellungnahme des russischen Außenministeriums. Man sei besorgt über Meldungen von neuer Gewalt und Toten, besonders in der Stadt Homs. Die syrischen Behörden seien verpflichtet, »Sicherheit und Rechte der Bevölkerung ebenso zu garantieren wie die allgemeine Stabilität«. Äußerungen syrischer Oppositioneller, die einen Dialog mit der Regierung ablehnten, behinderten eine Lösung des Konflikts. Auch Stellungnahmen westlicher Staaten, die syrischen Oppositionellen geraten hatten, Amnestieangebote zurückzuweisen und die Waffen zu behalten, trügen nicht zur Beruhigung der Lage bei. Die Opposition solle sich von bewaffneten Gruppen distanzieren, die mit ihren Aktionen eine Reaktion der staatlichen Sicherheitskräfte herausforderten.
Russland reagierte damit auf den neuerlichen Druck, den der katarische Außenminister Scheich Jassim Bin Jabr Bin Al-Thani und das Außenministerium der USA am vergangenen Wochenende einseitig auf Damaskus ausgeübt hatten. Wie vor Monaten im Falle Libyens könnten Katar, Saudi-Arabien und andere Golfstaaten die Aussetzung der syrischen Mitgliedschaft in der Arabischen Liga fordern und dem UN-Sicherheitsrat eine Resolution zur Verurteilung Syriens vorschlagen. Genau das fordert der Nationalrat der syrischen Opposition, dem Frankreichs Außenminister Alain Juppé bereits die offizielle Anerkennung in Aussicht gestellt hat, wenngleich er gegenüber der arabischen Zeitung »Al-Sharq Al-Awsat« einräumte, die syrische Oppositionsbewegung sei nach wie vor gespalten.
Beobachter sehen hinter den Bemühungen Katars, die Arabische Liga gegen Damaskus in Stellung zu bringen, Interessen der USA und EU-Europas. Die waren zuletzt mit einer Resolution im Sicherheitsrat am Veto Russlands und Chinas gescheitert.
Nach allem, was bekannt ist, sieht der Plan der Arabischen Liga die Freilassung aller Gefangenen, die Einstellung der Gewalt, den Rückzug von Armee und Sicherheitskräften aus Wohnvierteln und die Aufnahme eines nationalen Dialogs binnen zwei Wochen vor, gerechnet vom Tag der Unterzeichnung des Abkommens in Kairo, dem 2. November. Internationalen und arabischen Medien wird Bewegungsfreiheit in Syrien zugesagt. Damit dürften vor allem »Al Dschasira« (Katar), »Al Arabiya« (Saudi-Arabien) und der französische Sender »France 24« gemeint sein, die in den vergangenen Monaten zumeist einseitig berichtet und daher keine syrischen Einreisevisa erhalten hatten. Die Zahl anderer ausländischer Reporter hat sich in den vergangenen Wochen deutlich erhöht, weitere werden nach Ende des Opferfestes erwartet.
Die Realisierung des Plans sollte von Gesandten der Arabischen Liga überwacht werden. Vertreter der Liga sollten beim Zustandekommen des nationalen Dialogs helfen. Bisher wurde allerdings nicht bekannt, ob arabische Gesandte offiziell nach Homs oder an andere Brennpunkte gefahren sind, um die Verwirklichung der vereinbarten Maßnahmen zu überwachen.
Syriens Regierung hatte ausdrücklich darauf bestanden, dass auch Oppositionelle ihre Waffen niederlegen, arabische und ausländische Geldgeber ihre Unterstützung für bewaffnete Gruppen einstellen und die Medienkampagne gegen Syrien eingestellt werden müsse. Tatsache ist, dass die Existenz und die Aktivität bewaffneter Kräfte der Opposition in westlichen Medien weitgehend ignoriert werden.
Die Internationale Krisengruppe (ICG), die Analysen für westliche Regierungen und Hilfsorganisationen bietet, kritisierte das Abkommen von Kairo als »mangelhaft«. Es garantiere nicht ausdrücklich das Recht auf friedliche Demonstrationen, außerdem sei der Überwachungsmechanismus nicht eindeutig festgelegt. Es fehlten sowohl »sinnvolle Anreize« für den Fall, dass die Regierung die Verpflichtungen einhält, als auch »glaubwürdige Drohungen«, falls sie es nicht tut. Die Krisengruppe konstatiert, dass bewaffnete Aktivitäten gegen das Regime zunehmen. Ein Bürgerkrieg aber könne die gesamte Region destabilisieren. Alles solle daher getan werden, um dem Plan der Arabischen Liga zum Erfolg zu verhelfen. Das Regime müsse seine Verpflichtungen einhalten und die Opposition müsse die Gewalt gegen Sicherheitskräfte verurteilen und keine weiteren Vorbedingungen für einen Dialog stellen. Doch danach sieht es derzeit ganz und gar nicht aus.
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