Pegasus ohne Flügel
Das Festival »Afrikamera« wurde von afrikanischen Filmfesten gestaltet
Beratend waren die Filmfeste in Ouagadougou, Durban, Karthago und Kenya schon länger an der Afrika-Filmreihe beteiligt, die vom Verein toucouleur mit Unterstützung diverser Förderer ausgerichtet wird. In diesem Jahr stellen sie herausragende Filme aus ihrem Programm auch selbst vor.
Gleich der Eröffnungsfilm zeigt, dass nicht nur Schwarzafrika Thema der Reihe ist, sondern auch der Maghreb. »Pégase« (Pegasus) von Mohamed Mouftakir war im März der Gewinnerfilm von FESPACO, dem alle zwei Jahre stattfindenden Großfestival des afrikanischen Films in Ouagadougou, Burkina Faso. Ein überraschendes Werk mit entschiedenem Kunstwillen, schwarzweiß und in Zirkeln erzählt, ein Film über die Unfähigkeit eines Vaters, sich damit abzufinden, dass ihm der ersehnte Sohn versagt blieb. Der seine Tochter deshalb in Jungenkleidung und Jungentätigkeiten zwingt, ihr die Luft zu Atmung und Entfaltung nimmt, bis sie sich in einem Zyklus aus Wahn und Unterwerfung von einem Dämon schwanger glaubt. Ein Film voller unerwartet freizügiger Bilder und aufbegehrend-emanzipatorischer Gedanken. Ein Film voller Metaphorik, der die Balance zur kunstgewerblichen Zeichenverliebtheit nicht immer wahrt, aber doch zäh im Gedächtnis haften bleibt.
Noch ein zweiter Beitrag stammt aus der Auswahl des FESPACO, und der verpackt seine späten Enthüllungen und aufklärerischen Absichten in eine zweisträngig, aber strikt linear erzählte Handlung, die deshalb nicht weniger befriedigt. In »Notre étrangère« (Unsere Fremde) kehrt eine französisch sozialisierte junge Frau nach dem Tod ihres französischen Vaters auf der Suche nach ihrer Mutter nach Burkina Faso zurück, das sie als Kind verließ - Debütregisseurin Sarah Bouyain wuchs unter ähnlich multikulturellen Verhältnissen in Frankreich auf. Ihre Mutter findet Amy (Dorylia Calmel) nicht, dafür einen Alltag und eine Sprache, die ihr fremd geworden sind, Männer, die sie frech anquatschen und eine Tante, die trinkt, ihre minderjährige Hausangestellte herumkommandiert und von den Nachbarn gemieden wird - warum?
Mit »Les secrets« (Die Geheimnisse) der Tunesierin Raja Amari ist ein zweiter maghrebinischer Film im Programm, eine nordafrikanisch-europäische Koproduktion, vorgestellt vom Filmfest Karthago. Amari, für die Emanzipationsgeschichte »Satin Rouge« vielfach ausgezeichnet, widmete auch ihren zweiten Spielfilm dem Schicksal von Frauen in einer tunesischen Gesellschaft zwischen selbstbestimmter Moderne und fremdbestimmter Bewahrung vor der großen bösen Welt. Ein Kammerspiel unter Frauen - klaustrophisch, tödlich, hoffnungslos.
Das Filmfest in Durban ist mit »Skoonheid« dabei, der südafrikanischen Einreichung für den Auslands-Oscar 2012 und schon in Cannes mit dem festival-unabhängigen schwulen Filmpreis ausgezeichnet. Regisseur Oliver Hermanus, im letzten Jahr mit »Shirley Adams« bei Afrikamera vertreten, rechnet im langsam erzählten »Skoonheid« mit den konservativen Idealen der afrikaans-sprachigen Bevölkerung ab. Der erzkonservative Familienvater, den Hermanus’ Kamera kaum einmal aus den Augen lässt, lebt ein schwules Doppelleben, obwohl er natürlich kein bisschen schwul ist, nein, er nicht - und die Männer auch nicht, mit denen er sich zu Orgien unter verheirateten weißen Mittelstandsbürgern trifft. Ein harter, ein brutaler Film.
Vom DOCKANEMA in Maputo, Mosambik, kommt das Gegengift zu so viel zerstörerischem Potenzial: Licinio Azevedos einstündiger Dokumentarfilm »Islands of the Spirits« (Insel der Geister) über die Ilha de Moçambique. Ein farbenfroher Film mit hellem Licht und durchsichtigem Wasser, bunter Batik und weißgeschminkten Gesichtern, von einer Insel, die seit Anfang der Neunziger zum Weltkulturerbe gehört, wo die Frauen Geistergeschichten erzählen und die Männer über den Rückgang des Fischfangs klagen.
Weitere Dokumentarfilme porträtieren eine couragierte Mutter, die im postkolonialen Kenia für die Freilassung ihrer Söhne kämpft (»The Unbroken Spirit« von Jane Murago Munene), untersuchen weibliches Selbstverständnis und die Kleiderordnung in »Espelho meu« (Mein Spiegel), oder den zum Scheitern verurteilten Versuch eines Kapstädter Filmstudenten, eine echte Jugendgang als Darsteller zu verpflichten, im dffb-produzierten, semi-dokumentarischen »Gangster Project« des Wahl-Berliners Teboho Edkins. Madagassische Kurzfilme, darunter viel Animiertes, ein Kurzfilmprogramm aus Ruanda und eine Podiumsdiskussion über das Thema »Auslaufmodell Kino? Afrikanischer Film auf alternativen Wegen« runden das Programm ab.
16.11.-20.11., Kino Arsenal, Potsdamer Straße 2
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!