Der Doktor mit dem grünen Daumen
Bernhard Furtner betreibt eine »Pflanzenpraxis« in Berlin
Der Patient wird mit einer Schubkarre in die Praxis geschafft. Er ist mit braunen Flecken überzogen und liegt schlaff in einer alten Plastiktüte. »Das sieht nicht gut aus«, sagt Bernhard Furtner und beugt sich über den Kranken. Er greift in die feuchte Erde in der Tüte, zieht behutsam an den Wurzeln und streift mit der Hand durch die verkümmerten Blätter. Dann steht die Diagnose: »Feuchteschaden. Der Spindelstrauch ist hin.« Schuld sei der viele Regen gewesen, »die Pflanze ist ertrunken«, erklärt Furtner der Besitzerin. Die Besitzerin schluckt kurz und fragt dann: »Können Sie die gleich entsorgen?«
Für viele Hobbygärtner ist Furtner die letzte Hoffnung, wenn der grüne Liebling schlapp macht. Der 40 Jahre alte Gartenbauingenieur nennt sich Pflanzendoktor. Er päppelt Büsche, Blumen und Bäume und berät ihre besorgten Besitzer. Dünger oder Pflanzenschutzmittel? Bio oder Chemie? Beim Pflanzendoktor gibt es den »grünen Daumen« quasi auf Bestellung. Oft reicht dem Experten schon ein Blatt, um eine Krankheit zu erkennen und das Grün von Pilzen, Mehltau und Blattläusen zu befreien. Im Zweifel gehen die Proben zur Analyse an das Berliner Pflanzenschutzamt.
Seine Patienten behandelt Furtner im »Pflanzendoktorbüro«, einem kleinen hellen Raum in einem Gartencenter am Olympiastadion. Zu größeren Problemfällen rückt er in den Garten aus - der Fachmann macht auch Hausbesuche. Furtner trägt Pulli und Weste, mit der weißen Hose und dem Untersuchungskoffer sieht er aus wie ein Notarzt. Ausgerüstet mit Schere, Bodenmessgeräten und Lupe sind Furtner und seine zwei Kollegen täglich im Einsatz. »Für viele Kunden sind wir die Helden, das fühlt sich schon gut an«, sagt er und lacht. »Schließlich retten wir auch Leben.«
Sein Team betreut Hotels, Cafés und Firmen, die Probleme mit ihrer Begrünung haben. Kürzlich sei ein Friedhof dazugekommen. Das Hauptgeschäft macht der Pflanzenkenner allerdings mit Privatkunden. Diese seien meist älter, »weil ältere Menschen einfach häufiger einen Garten besitzen. Die unter 30-Jährigen kommen eher selten.« Die Beratung im Gartencenter ist kostenlos. Für die Betreuung des Gartens samt Hausbesuchen zahlen Kunden beim Pflanzendoktor dagegen 550 Euro im Jahr.
Die Idee zum Berliner Pflanzendoktor hatte Furtners Chef Godfried Seelen, der Inhaber des Gartenzentrums, vor etwa vier Jahren. »Die Leute kamen immer mit Pflanzenstückchen und haben um Rat gefragt. Da haben wir überlegt, wie wir das professioneller machen können«, sagt Furtner, der nach dem Studium für mehrere Jahre in Schweden mit Pflanzenkrankheitskeimen geforscht hat. Seitdem habe sich der Pflanzendoktor zu einer festen Größe in der Gartenszene entwickelt. »Die Kunden, die wir haben, kommen immer wieder.« Jetzt, im Herbst, wenn die Blütezeit vorbei ist, sind es noch um die fünf am Tag.
Im Frühling dagegen, wenn die Berliner ihre Gärten präparieren, ist für den Pflanzenarzt Hochsaison. Dann stehen die Kunden im Geschäft Schlange, um ihr kränkelndes Grün vom Spezialisten untersuchen zu lassen. Ein Dauerpatient im Wartezimmer ist dabei die Rose. »Rosen werden so gut wie immer krank. Sie kriegen jeden Pilz, den man sich vorstellen kann«, sagt Furtner. Auch Rhododendren müsse er oft behandeln, das Gewächs gehöre zu den Lieblingspflanzen der Berliner. »Jeder hier will einen haben.«
Furtner sitzt in seinem Büro und blättert in einem Pflanzenratgeber. Auf dem Schreibtisch steht eine seltene Hawaiipalme, daneben liegen Bücher mit Titeln wie »Gärtners Pflanzenarzt« oder »Das große Buch der Garten- und Landschaftsgehölze«. »Ab und an müssen wir auch mal was nachschlagen«, sagt Furtner. Nur wer die vielen Krankheiten und Schädlinge kenne, könne auch das richtige Heilmittel verschreiben. Die Arznei für Busch und Blume hat Furtner dabei immer griffbereit. In einem großen Regal stapeln sich Dünger und Pflanzenschutzmittel - die Pflanzenpraxis ist auch eine Apotheke.
Der Begriff Pflanzendoktor ist keine feste Berufsbezeichnung. »Im Prinzip kann sich jeder so nennen«, sagt der Leiter der Gartenakademie Rheinland-Pfalz, Werner Ollig. Auch deshalb kann man sich etwa in Rheinland-Pfalz den Titel behördlich zertifizieren lassen - nach einer entsprechenden mehrtägigen Schulung, versteht sich. Auch in Baden-Württemberg und Sachsen gibt es solche Zertifikate. Geschult werden in der Regel Gärtner, Gärtnermeister und Gartenbauingenieure.
Mittlerweile gibt es bundesweit mehrere hundert Pflanzendoktoren - Tendenz steigend. »Das ist ein absoluter Trend«, sagt Ollig. Denn der Garten und die eigenen Pflanzen seien den Menschen in den letzten Jahren immer wichtiger geworden. »Die Leute wollen mehr Natur im Garten, als erweiterten Wohnraum. Sie haben mehr Sehnsucht nach Natur.«
Deshalb muss auch Furtner wieder ausrücken. Eine Kundin hat ihn gerufen, weil ihr Rhododendron die Blätter hängen lässt. Der Strauch steht in einem großen Garten, der eine Villa im Nobelviertel Grunewald umschließt. Erst drei Jahre habe sie den Rhododendron, beschwert sich die ältere Frau. »Der meckerte eigentlich immer, dabei habe ich mir die größte Mühe gegeben, ihn zu retten.« Furtner begutachtet die verwelkten Blätter. Dann kriecht er unter den Strauch, schnitzt ein Stück Rinde vom Stamm, reibt es zwischen den Fingern und riecht daran. »Äußerst diffus«, sagt Furtner. Er vermutet einen aggressiven Pilz, der auch andere Gewächse befallen könnte. Er rät der Frau, den kranken Strauch aus dem Beet zu entfernen.
Häufig kämen die Menschen zu ihm, wenn ihr Gewächs bereits todkrank sei, sagt Furtner. »Kunden betrachten eine Pflanze als krank, wenn sie nicht gut aussieht.« Haus- und Kleingärtnern fehle bisweilen das nötige Fachwissen, um ihre Beete ausreichend zu pflegen: »Die meisten sind entfremdet, sie verstehen nicht, was im Garten vor sich geht.« Das Ergebnis: »Die Leute gießen zu doll und übertreiben es mit dem Dünger, weil sie es zu gut mit ihrer Pflanze meinen.« Dadurch werde die Nährstoffversorgung gestört und das Gewächs krank.
In der Großstadt seien Pflanzen zudem besonders anfällig für Krankheiten. Lärm und Schmutz ließen viele Grünflächen verkümmern. »Die Pflanzen leiden, weil sie unter Dauerstress stehen.«
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