Die Realität widerspricht Populisten
Österreich: »Flut« von Arbeitskräften blieb aus
Als letzte EU-Länder hatten Deutschland und Österreich am 1. Mai ihre Arbeitsmärkte für die Bürger aus den acht 2004 der Gemeinschaft beigetretenen Ländern geöffnet. Wien und Berlin hatten in den Aufnahmeverhandlungen mit Polen, Ungarn, Tschechien, der Slowakei, Slowenien, Estland, Lettland und Litauen eine siebenjährige Übergangsfrist durchgesetzt. Obwohl viele Experten wegen des schon damals absehbaren Fachkräftemangels davor gewarnt hatten, wollten die Regierungen den Arbeitsmarkt nicht zuletzt aus innenpolitischen Erwägungen möglichst dicht halten.
In Österreich machte die rechtspopulistische Freiheitliche Partei (FPÖ) mobil gegen die angeblich drohende »Ausländerflut«. Noch wenige Tage vor der dann nicht mehr abwendbaren Öffnung warnte FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache Ende April vor mehr als einer Million Arbeitsloser, die in Osteuropa nur darauf warteten, in Österreich einzufallen.
Tatsächlich gekommen sind bisher nicht einmal die von seriösen Wirtschaftsforschern prognostizierten 25 000 Arbeiter. Exakt 19 808 Osteuropäer haben einer Bilanz des Wiener Sozialministeriums zufolge seit Mai in Österreich einen Job gesucht und gefunden.
Eine Ursache für diese geringe Arbeitsmigration ist wohl auch darin zu suchen, dass es für Unternehmen ziemlich riskant ist, mit Billigarbeitskräften aus Osteuropa ihre Kosten und so insgesamt das Lohnniveau zu drücken. Denn die Regierung hat im Vorfeld der Arbeitsmarktöffnung zahlreiche Sicherungen gegen Lohn- und Sozialdumping eingebaut. So kontrollieren mehrere Institutionen - Gewerkschaften, Finanzamt und Krankenkassen - die Einhaltung von kollektivvertraglichen Mindestlöhnen und die Bezahlung von Sozialabgaben durch den Dienstgeber. Dass es bisher im ganzen Land nur 46 Anzeigen gegeben hat, zeugt von guter Prävention.
Die langjährige Abschottung des Arbeitsmarktes zeigt nun aber ihre Schattenseiten: Die mit 3,9 Prozent niedrigste Arbeitslosenrate in der EU korrespondiert mit einem immer akuter werdenden Mangel an Fachkräften. Für viele Unternehmen geht es gar nicht mehr um die Suche nach billigen Arbeitskräften, sondern darum, ob sie überhaupt noch welche für sich begeistern können. Diese Unternehmen zahlen nun die Zeche für das Einknicken der Politik vor den Populisten.
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