Im Schatten des Bolschoi
Das Zeughauskino präsentiert »Moskau im Film«
»Nach Moskau!« - diesen Schlachtruf bemühten die Heldinnen Olga, Mascha und Irina in Tschechows Bühnenklassiker »Drei Schwestern« stets dann, wenn sie sich ihrer Frustration über ein verpfuschtes Provinzleben Luft machten. Bis heute hält die russische Metropole in der Kunst und im realen Leben als Projektionsfläche her, verheißt sie doch in all ihrer Pracht und Größe Aussichten auf berufliche und private Entfaltung.
Auch aus dem russisch-sowjetischen Kino ist Moskau nicht wegzudenken. Die russische Hauptstadt hat, glaubt man den Veranstaltern der heute im Zeughauskino beginnenden Retrospektive »Moskau im Film«, sogar ein eigenes Genre hervorgebracht. Im Zentrum dieser Filme steht nicht nur die an Schauwerten reiche Stadt selbst. Vor allem sind es ihre Bewohner, alteingesessene oder zugereiste Moskauer, deren Schicksale die Filmreihe in Werken von 1927 bis 2000 aufzeigt.
So nimmt etwa Alexander Seldowitschs Spielfilm »Moskau« (2000) bewusst Bezug auf das bereits erwähnte Tschechow-Stück. Nur haben die Filmheldinnen - auch sie heißen Irina, Mascha und Olga - das bereits satt, wonach sich ihre fiktiven Bühnenschwestern sehnten. Ihr Moskau ist bevölkert von so genannten »Neuen Russen«, die sich im post-sozialistischen Russland mit teilweise dubiosen Geschäften ihr privates Konsumparadies geschaffen haben.
Langweilen tun sich diese in Nerz und teure Stoffe gekleideten Damen in Bars und Luxuswohnungen jedoch genauso wie die Tschechow’schen Provinzglucken. Bilder, die zwischen nächtlichen Blau- und Grautönen und den grellen Neon-Farben der Clubs oszillieren, offenbaren Kälte oder Leere. In dem künstlichen, von Skandalautor Wladimir Sorokin geschriebenen Film agieren die Schauspieler theatralisch; Kommunikation scheitert. Einmal sieht man in »Moskau« ein unglückliches Paar an den Kreml-Mauern entlang wandeln - doch der prestigeträchtige Ort hat nur Dekorfunktion und verhindert das tragische Filmende nicht.
Bittersüß geht es dagegen in Wladimir Menschows modernem Klassiker »Moskau glaubt den Tränen nicht« (UdSSR 1979) zu. Er schildert das Schicksal dreier Freundinnen von den 1950er bis in die 1970er Jahre. Bestimmt am Anfang nur die Suche nach »dem Richtigen« das Leben der drei, hält es später noch manche Enttäuschung für sie parat. Die Wohnverhältnisse der drei Frauen - vom Wohnheim über das Stalin’sche Zuckerbäckerhochhaus hin zum vorstädtischen Plattenbau - evozieren die städtebauliche Entwicklung der Stadt. Datschen dagegen bieten bei gutem Essen, Wodka und Gesprächen über Gott, die Welt - und natürlich Männer! - eine Auszeit vom stressigen Stadtalltag. Die mit Wera Alentowa und Alexej Batalow prominent besetzte Tragikomödie lässt sich mit Vergnügen anschauen. Seinerzeit wurde sie sowohl mit dem Goldenen »Berlinale«-Bären als auch mit dem »Oscar« für den Besten Ausländischen Film geehrt.
Ein veritables cineastisches Kleinod stellt dagegen »Dritte Kleinbürgerstraße - Liebe zu dritt« von Abram Room dar. Der 1927 gedrehte Stummfilm handelt von einer Ménage à trois: Der als Drucker nach Moskau gezogene Wolodja kommt in der kleinen Wohnung seines Freundes Kolja und dessen Frau Ljuda unter. Bald unterhält Ljuda mit beiden Männern ein Liebesverhältnis, das durch die beengten Wohnverhältnisse einiger Spannung ausgesetzt ist. Erzählt wird die Geschichte mit einer Freizügigkeit, an der sich manch Hollywood-Film von heute ein Beispiel nehmen könnte; außerdem besticht der Film mit viel Humor und einem ausgeprägten Sinn für Dramaturgie. Die historischen Bilder Moskaus sind für heutige Zuschauer ein Geschenk: Neben Vorzeigebauten wie dem Bolschoi-Theater sieht man ein heute kaum noch existierendes, fast ländliches Moskau enger Gassen und Holzhäuser. Erfreulich ist auch die feministische Botschaft in dieser mit feiner Metaphorik aufgeladenen und so unterhaltsamen wie anrührenden Komödie.
18. bis 27.11., Zeughauskino, Unter den Linden 2, www.zeughauskino.de, Tel.: (030) 20 30 44 21
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