Sektierer, Lernender und Märtyrer

Vor 70 Jahren wurde der ehemalige KPD-Vorsitzende Arkadij Maslow ermordet – Gab Stalin die Order?

  • Mario Keßler
  • Lesedauer: 5 Min.
Maslows Roman
Maslows Roman

In der DDR galt er als Renegat des Kommunismus, im Westen wurde er, wenn überhaupt, nur in Verbindung mit seiner Lebensgefährtin Ruth Fischer (1895-1961) genannt: Arkadij Maximowitsch Maslow, geboren als Isaak Jefimowitsch Tschemerinskij am 9. (21.) März 1891 in Jelisawetgrad im Zentrum der Ukraine.

Die Familie war 1899 vor den antisemitischen Pogromen nach Dresden geflohen, wo Maslow aufwuchs, die Kreuzschule und anschließend das Konservatorium besuchte und Klavier studierte. Schon der Zwölfjährige gastierte auf Konzerttourneen in Deutschland und Europa, sogar in Japan und Lateinamerika. Dreiundzwanzigjährig verabschiedete sich der Pianist plötzlich von seinem bisherigen Beruf, um an der Berliner Universität Vorlesungen in Mathematik und Physik bei Max Planck und Albert Einstein zu hören. Er schloss jedoch das Studium nicht ab, sondern wurde Berufsrevolutionär.

Anstöße einer Linksorientierung erhielt er schon als Schüler. Seit 1916 arbeitete er illegal in Deutschland für die Bolschewiki. Zwei Jahre später nahm er Kontakt zur Spartakusgruppe auf, wurde Mitglied des Spartakusbundes und war Mitbegründer der KPD. In deren Pressebüro lernte er Ruth Fischer kennen. Obgleich Fischer und Maslow niemals heirateten, traten sie nicht nur wie Eheleute in der Öffentlichkeit auf, sondern bezeichneten sich auch als solche gegenüber den Komintern-Organen (KI).

Gemeinsam stiegen Fischer und Maslow rasch als Wortführer der Ultralinken in der KPD auf. Zunächst als Leiter der Russischen Sektion (von KPD-Mitgliedern russischer Muttersprache) tätig, wurde Maslow im Oktober 1921 in die Leitung des KPD-Bezirkes Berlin-Brandenburg gewählt. Mit seiner Lebensgefährtin bekämpfte er die damals von der KPD-Führung propagierte Losung der Einheitsfront und das politische Projekt einer Arbeiterregierung mit der SPD. Man könne die Frage der Arbeiterregierung, so Maslow auf dem Leipziger KPD-Parteitag 1923, nicht stellen, ohne auf den Bürgerkrieg hinzuarbeiten. Andernfalls würden die Arbeiter glauben, »irgendwer möchte in einen Ministersessel hineinrutschen«. Die Parteileitung um Heinrich Brandler und August Thalheimer widersetzte sich dieser ultralinken Position. Sie fand jedoch Unterstützung in Moskau, wo die sowjetische Führung im Herbst 1923 auf einen »Deutschen Oktober« hoffte, auf eine Wiederholung des siegreichen Aufstandes der Bolschewiki in Russland.

Nach dessen Fiasko rückte Maslow am 8. Februar 1924 als stellvertretender Sekretär des kurzzeitigen Parteivorsitzenden Hermann Remmele in die neu formierte Spitze der KPD auf. Obgleich er zeitweilig von diesem Posten suspendiert wurde (ihm wurde zu Unrecht vorgehalten, sich bei einem Polizeiverhör feige verhalten zu haben), war sein Aufstieg nicht mehr zu stoppen: Der Frankfurter Parteitag wählte ihn im April 1924 zum Vorsitzenden. Als er wegen angeblichen Handtaschendiebstahls verhaftet wurde, übernahm Ruth Fischer die Leitung der Partei.

Nach seiner Entlassung setzten Maslow und Fischer als gemeinsame Vorsitzende der KPD die Bolschewisierung der Partei durch. Als Parteigänger von Stalins Rivalen Sinowjew und als eigenwillige, nicht bedingungslos auf sowjetische Direktiven eingeschworene Intellektuelle unterlagen sie jedoch im parteiinternen Machtkampf dem von Moskau unterstützten Ernst Thälmann. Da Maslow im September 1925 des »Hochverrats« angeklagt wurde und bis Juli 1926 erneut im Gefängnis war, stand Ruth Fischer angesichts einer schwindenden Machtbasis auf verlorenem Posten. Sie wurde zudem nach Moskau abkommandiert und dort mehrere Monate unter allerhand Vorwänden festgehalten.

Erst im Sommer 1926 konnten beide wieder gemeinsam politisch handeln. Doch es war zu spät. Als inzwischen erklärte Gegner Stalins und Thälmanns wurden sie am 20. August 1926 aus der KPD ausgeschlossen. Anderthalb Jahre später waren sie kurz im Leninbund organisiert. Doch blieb dieser Versuch einer Sammlung oppositioneller Kommunisten ohne Chance. Während Ruth Fischer als Sozialarbeiterin in Bezirk Prenzlauer Berg tätig war, arbeitete Maslow nun als freiberuflicher Übersetzer, u. a. von Werken Plechanows und des Historikers Pokrowskij.

1933 mussten Fischer und Maslow fliehen. Während Ruth Fischers Sohn, Maslows Stiefsohn, über Österreich nach England gelangte, gingen sie beide nach Paris, wo sie eine Zeitlang mit Trotzki zusammenarbeiteten. Ruth Fischer war wiederum als Sozialarbeiterin tätig, Maslow schrieb für verschiedene französische Zeitungen sowie für deutsche Exilblätter und baute einen eigenen Pressedienst auf. Von einstigen sektiererischen Positionen hatte er sich längst gelöst. Er verfasste verschiedene literarische Arbeiten, darunter den Roman »Die Tochter des Generals« (gerade im be.bra Verlag erschienen, 24,95 €) sowie fiktive Memoiren Stalins.

Im ersten Moskauer Prozess wurden Fischer und Maslow des Komplotts gegen Stalin und die Sowjetführung beschuldigt. 1940 flüchteten sie vor der Wehrmacht nach Marseille und von dort nach Lissabon. Doch nur Ruth Fischer erhielt das ersehnte Visum für die USA. Maslow gelang es lediglich, eine Aufenthaltsbewilligung für Kuba zu bekommen. Am 30. Mai 1941 kam er in Havanna an. Dort baute er wiederum einen Pressedienst auf. Durch das Abhören sowjetischer Kurzwellensender erfuhr er Juli 1941 vom Massaker in Lemberg, Auftakt zum Holocaust.

Am 21. November 1941 wollte Ruth Fischer ihrem Lebensgefährten mitteilen, dass sein Einreisevisum in die USA endlich bewilligt sei. Doch am Telefon erfuhr sie, dass Maslow in der Nacht zuvor tot in einer Straße in Havanna aufgefunden worden sei. Das ärztliche Zeugnis und die beglaubigte Erklärung eines Anwalts besagten, er sei an Herzversagen gestorben. Ruth Fischer war bis ans Ende ihres Lebens überzeugt, dass Arkadij Maslow ermordet wurde. Wir wissen jetzt, dass sie Recht hatte.

Noch in Marseille war der FBI-Beamte Guenther Reinhardt auf Maslow aufmerksam geworden; er war es, der zuerst Ruth Fischer und dann auch ihn zu einem amerikanischen Visum verhalf. Im Gegenzug erbot Maslow sich, interne Informationen an Reinhardts Leute zu liefern, und zwar an FBI-Chef Hoover vorbei, der früheren Kommunisten grundsätzlich misstraute. Reinhardt und Maslow suchten amerikanische Gewerkschafter und unabhängige Linke zu gewinnen, um ein Gegengewicht zum rechten Antikommunismus wie auch zur prostalinistischen Intelligenz zu schaffen; eine ideologische und auch organisatorische Herausforderung, die Marxisten und Nichtmarxisten vereinen sollte. Doch es gab eine »undichte Stelle«.

Möglicherweise gelangten Informationen über das Maslows Tun durch einen Doppelagenten nach Moskau. Dort fiel dann der Entschluss, ihn zu beseitigen. Den Rest besorgte der Fahrer eines Lastkraftwagens, der ihn in einer entlegenen Straße in Havanna überfuhr. Ein Arzt, ein Anwalt und sogar die Krankentransporteure waren für die nötigen Falschaussagen gewonnen worden. Die Leiche wurde niemals obduziert, und die Bestattung auf dem Jüdischen Friedhof in Havanna erfolgte rasch. Dort ruhen die sterblichen Überreste Arkadij Maslows in der Nähe eines anderen kommunistischen Exilanten - seines einstigen Genossen und Rivalen August Thalheimer.

Am 21. November, 19 Uhr, hält Prof. Mario Keßler in der »Hellen Panke«, Kopenhagener Str. 9, einen Vortrag über Arkadij Maslow.

Ruth Fischer auf dem IV. KI-Kongress, 1922 in Petrograd
Ruth Fischer auf dem IV. KI-Kongress, 1922 in Petrograd
Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Mehr aus: