Stuttgarter Montagsdemo die 100.

Knapp eine Woche vor dem Volksentscheid gehen heute wieder Tausende gegen S21 auf die Straße

  • Gesa von Leesen, Stuttgart
  • Lesedauer: 3 Min.
Eine Werbe-Firma hätte es nicht besser planen können: Heute, am letzten Montag vor der Volksabstimmung zu Stuttgart 21, feiern die S21-Gegner ein Jubiläum. Sie gehen zum 100. Mal am Montag auf die Straße, um gegen den Tiefbahnhof zu demonstrieren. Die Demo verstehen die Veranstalter als Auftakt zum Endspurt für die Abstimmung am kommenden Sonntag.

Der Auftakt für die erfolgreiche Stuttgarter Demonstrations-Reihe begann im Oktober 2009. Allerdings sei das eigentlich noch keine Demo gewesen, erklärt Helga Stöhr-Strauch, die seit Beginn die Demos organisiert. Gerade mal fünf Leute hätten sich damals treffen wollen, allerdings seien drei am Bahnhof und zwei am Rathaus gewesen. Dennoch ging es weiter und die Montagsdemos wuchsen. Auf ihrem Höhepunkt im Sommer vergangenen Jahres kamen Zehntausende. Seit dem Regierungswechsel von Schwarz-Gelb zu Grün-Rot im März dieses Jahres hat die Teilnehmerzahl zwar abgenommen, doch mehrere tausend sind es weiterhin, die sich jeden Montag um 18 Uhr am oberirdischen Stuttgarter Hauptbahnhof versammeln.

Die Montagsdemo sei das »Herz und Markenzeichen« des Widerstands gegen den geplanten unterirdischen Durchgangsbahnhof, befindet Hannes Rockenbauch, Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21. Ohne sie, so ist er überzeugt, hätte es den Regierungswechsel nicht gegeben.

Beim Begriff »Montagsdemo« habe man sich durchaus von den Montagsdemos in der DDR inspirieren lassen, sagt Stöhr-Strauch. Ihr Organisationskollege Rainer Benz will damit aber die Stuttgarter Proteste nicht auf eine Stufe mit denen in Leipzig und anderswo stellen. »Die Stuttgarter Montagsdemo ist etwas ganz Eigenes geworden«, meint er.

Neben Prominenten wie dem Grünen-Vorsitzenden Cem Özdemir und den Kabarettisten Georg Schramm und Urban Priol traten bei den Stuttgarter Montagsdemos Fachleute auf: fürs Grundwassermanagement, für Denkmalschutz, für Fahrpläne, für Rechtsfragen. Die Montagsdemos waren eine Zeit lang eine Art Volkshochschule unter freiem Himmel. Für gute Stimmung sorgen selbstgebastelte Protestschilder, Sprechchöre wie »O-ben blei-ben« und »Lü-gen-pack« und Trommelgruppen. Es sei gerade dieses Bunte, das ihn so fessle, erklärte Walter Sittler jüngst bei einer Veranstaltung in der Stuttgarter Liederhalle. Der Schauspieler ist eines der öffentlich bekannten Gesichter des Protestes. Sittler sagte, die Bewegung habe die Demokratie schon jetzt voran gebracht und sie sei so lebendig - »Man möchte gar nicht mehr weg.«

Heute Abend wird sich die Bewegung noch einmal selbst feiern. Ob sie das auch am kommenden Abstimmungssonntag kann, ist ungewiss. Laut einer Umfrage von Infratest-Dimap im Auftrag von SWR und »Stuttgarter Zeitung« will eine knappe Mehrheit von 55 Prozent für das Bahnprojekt stimmen, 45 Prozent sind dagegen. Also mobilisieren Gegner und Befürworter von Stuttgarter 21 in den nächsten Tagen noch einmal alles, was sie haben. Es wird durchs Land gefahren, Luftballons beider Gruppen schmücken samstags vormittags die Innenstädte, die Plakatierungen stellen manchen Bundestagswahlkampf in den Schatten.

Und die Nerven liegen zunehmend blank. Der für seine extrem markigen Sprüche für Stuttgart 21 berüchtigte Pfarrer Johannes Bräuchle wurde nun von seiner evangelischen Landeskirche von allen Amtspflichten suspendiert. Bräuchle hat laut Zeitungsbericht auf einer Pro-S21-Veranstaltung gesagt, die Kampagne der S21-Gegner erinnere ihn an SA-Zeiten und das S21-Ausstiegsgesetz, über das am Sonntag abgestimmt wird, soll er mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933 verglichen haben.

Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt hat »rechtliche Schritte« gegen Walter Sittler angekündigt, weil der einen Arbeitgeber-Spot für Stuttgart 21 genommen und in sein Gegenteil verkehrt hat. Die kommenden Tage dürften noch manchen interessanten und auch läppischen Schlagabtausch bringen. Dass der Streit über Sinn und Unsinn von S21 mit der Abstimmung am Sonntag beendet wird, glauben laut Infratest-dimap übrigens nur 16 Prozent. 81 Prozent der Befragten erwarten, dass die Auseinandersetzung weitergeht.

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