Rhythmus der Farben
Der Stettiner Vorortbahnhof zeigt erstmals »Briata in Berlin«
Georges Briata hat Glück mit seiner ersten Personalausstellung in Deutschland. Nur dies eine Mal steht dafür die restaurierte Vorhalle des kriegszerstörten Stettiner Vorortbahnhofs bereit, ehe der Kommerz über die Kunst siegt und ein Eventrestaurant den edlen Ort in Besitz nimmt. Und Berlin hat Glück mit Briata. Zu verdanken ist es Andreas Bremke, langjähriger Bewunderer und Freund des Marseiller Malers, zugleich Käufer und Initiator des Restaurierungsprojekts. Und auch Organisator der Ausstellung in so lichtvollem Raum. Der daheim ein Star ist, Briata, gilt hier noch als nicht mehr ganz jugendlicher Geheimtipp. Das Studium in Paris, der Militärdienst in Afrika 1958 und weltweite Reisen haben den 1933 Geborenen geprägt. Besonders freilich hat es ihm die Gegend seiner Heimatstadt Marseille angetan, ihre Geschichte, ihr mediterranes Flair, ihr besonderes Licht.
Dies ist auch der erste Eindruck beim Betreten des Backsteinbaus: die anspringend sinnliche Kraft der Provence-Motive. Das rätselvoll leuchtende Blau einer Bucht etwa, gegen die sich die Felsen wie verschneit weiß abheben. Die Pinien glitzern in unklarem Lichtquell; auf dem flächigen Ozean schwebt ein Segelboot. Er male Klimata, zeichne Stimmungslagen nach, folge dem Ruf seines Herzens, sagt Briata: Es gehe ihm nicht um ein Kopieren der Natur, sondern um ihr Gestalten.
Dafür setzt er Farbflächen und schwingende Linien gegeneinander und tränkt sie in atmosphärisches Licht. Um jenen Effekt des Funkelns zu erzeugen, wie er an Pinienrändern auftaucht, mischt er der Farbe reflektierende Sandkristalle bei. So auch in »Die blaue Steilküste«, fast einer Orgie an intensivstem Blau. Beinah fühlbar wird die Mittagsglut, wenn sich eine Frau über einen der »Zwei Brunnen« beugt. Farbflächen von Blau über Rosa bis Orange fügen sich beim Weg auf ein Dorf hin zum rauschhaft liebenden Erleben von Natur, »Die blaue Allee« glüht aus der Nacht auf. Die Hügel des »Cap Canaille« scheinen, wie von einer Wärmekamera aufgenommen, in roten und gelben Karrees auf; lediglich die »Marseillerin mit Blumenstrauß« ist individualisiert als Person vor rottöniger Wand. Dass dem Meister der sublimen Farbnuancen, der perfekten Komposition auch die Stimmung von Marrakesch liegt, zeigt sein leuchtender »Park Majorelle«.
Beeinflusst haben seinen Malstil zudem mehrere Aufenthalte in New York seit 1967. Noch immer schlagen sich seine damaligen Erfahrungen in Bildern nieder, wie ein Kabinett in der Halle ausweist. Hier sind es die illuminierten Straßenschluchten und die Leuchtreflexe der Werbung, die seiner expressionistischen Sichtweise entgegenkommen und kubische Farbflächen aufeinander prallen lassen, durchsetzt mit Markennamen und Reklameslogans. Reisen nach Japan ab 1973 mögen Briatas Malweise veredelt, ihr feineren Schwung verliehen haben. So fügen sich beim Marsch auf den Tempel die Regenschirme der Gläubigen geradewegs zum Tanz, lässt »Der alte blaue Tempel« den Anspruch auf Ewigkeit spüren, flirrt über »Die gelben Regenschirme« in Strahlenbündeln das Sonnenlicht. »Maikos im Park« löst alles Gesehene, außer den drei Frauen, beinah gänzlich und wundersam in Farbe auf.
Was Briata als Sohn einer Stummfilm-Pianistin überdies reizt, die Welt des Jazz, auch hierfür hält die Ausstellung beredte Beispiele bereit. Wieder setzt er auf starke, klare Farben, richtet sein Augenmerk jedoch auf die Musiker in ihrer Aktion. Man meint den Klang der Instrumente zu hören, den Rhythmus der umschlungen Tanzenden zu fühlen, so plastisch inszeniert der Maler sein Sujet: »Das große Musik-Café«, »Tanzgesellschaft mit Glockenhut«, »Trio«, »Das große Streichorchester«, auch in »Concerto« die Hingabe der Musiker an ihr Instrument. All die Reise- und Musikeindrücke komplettieren in kleinem Kabinett Akte, auch hier wieder farblich aufs feinste austariert in Öl wie im »Akt vor zwei Staffeleien«.
Besonders in den Zeichnungen findet der Maler der Farbe und des Lichts zu delikater Intimität. Finaler Punkt der Ausstellung: der Entwurf eines Glasfensters für den Bahnhof Saint-Charles, mit den Bezügen zu Marseilles Historie auf 375 Quadratmetern Fläche ab 2013 dann das größte von einem Künstler gestaltete Glasfenster in Europa.
Bis 27.11., Mi-So 12-20 Uhr, Stettiner Vorortbahnhof, Julie-Wolfthorn-/Caroline-Michaelis-Str., Mitte, Infos unter www.briata-in-berlin.de
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