Nostalgietour im Reko-Zug
Der Denkmalpflegeverein Nahverkehr hält 65 Oldtimer in Schuss
»Aber da steht doch 20 Pfennig«, brummt der Fahrgast zum Schaffner und schielt zur Pressspandecke empor. Tatsächlich verheißt dort die Beschilderung ein Beförderungsentgelt, das nah heranreicht an die jüngst wieder aufgekeimte Vision vom kostenlosen Nahverkehr. In Wirklichkeit handelt es sich um eine Kuriosität unter vielen in dieser Geschichtsstunde der Fortbewegung auf Berliner Schienen.
Sonntag, Tramstation Friedrichstraße: Der dreiwagige, elfenbeinfarbene »Reko-Zug« anno 1955 rollt an zum Finale der diesjährigen Themenfahrt-Saison, mit seinem Zyklopenscheinwerfer die Strecken der modernen M 1 und M 6 beglotzend. Im Kern handelt es sich um ein Fahrzeug aus den 20er Jahren, das ab 1950 rundum erneuert wurde. Manch Passagier bevorzugt, mit Camcorder in Vorhalte, den Stehplatz, alle lassen statt 20 Pfennig sechs Euro in die Kassen der Zugbegleiter klingeln - wohl angelegtes Geld zur Pflege der schwer betagten Technik. Winterzeit ist Schrauberzeit im Depot Pankow-Niederschönhausen, dem Ziel des Ausflugs. Und was der Denkmalpflegeverein Nahverkehr Berlin an Fahrgeldern und Spenden das ganze Jahr über eingenommen hat, wird die Instandhaltung der 65 altehrwürdigen Busse und Bahnen komplett verschlingen. »Glauben Sie uns, die Arbeit wird nicht weniger«, garantiert Vorstandsmitglied Reinhard Demps.
Obwohl überwiegend Stammgäste das Gestühl belegen, wäre ein solcher Trip durch Mitte, Prenzlauer Berg und Pankow gerade für Ortsunkundige und Neuberliner ein lohnenderes Vergnügen als mancher Touristennepp. Wie zum Beispiel Vereinsschriftführer Karsten Müller im hintersten Waggon gegen das stählerne Krachen bei den Weichenüberquerungen anbrüllt, ist schon für sich genommen ein unterhaltsames Erlebnis. Mit angestrengter, heller Stimme und ironischem Pfiff benannt, bleibt das Sehenswerte dieser Strecke links und rechts des schmalen Straßenbahngespanns im Gedächtnis zurück.
Da glänzt der Friedrichsstadtpalast in der Sonne, die Baugerüste des streng bewachten BND-Neubaus an der Chausseestraße sind durch Nebelkrähen okkupiert. Wer es noch nicht wusste: Die S-Bahn-Station »Hackescher Markt« nannte man Anfang des vorigen Jahrhundert noch »Börse«, und das Trottoir unter dem U-Bahn-Viadukt an der Schönhauser Allee wurde als »Magistratsschirm« verlacht. Eine moderne Niederflur-Tram kriecht, andächtig Abstand wahrend, hinter ihrem Urahn her, während sich Karsten Müller über die Verwandlung von Bahnhöfen in »Einkaufszentren mit Gleisanschluss« mokiert.
Am Straßendepot Niederschönhausen gingen solche Entwicklungen freilich vorüber. In den 110 Jahre alten Wartungshallen kann die Ahnenreihe der BVG-Vehikel besichtigt werden. Skodas, Tatras, Schnauzenbusse, Pferdeeisenbahnwagen: wiederhergestellte Schönheiten, von ehrenamtlichen Monteuren vor der Demontage bewahrt.
Als neuestes Restaurierungsobjekt blickt ein »Reko-Wagen« mit Führerständen an beiden Enden seiner Neubelebung im kommenden Frühjahr entgegen. Doch dann muss man nicht erst auf neue Themenfahrten warten, um Berlin nostalgisch zu erfahren. Der Denkmalverein bietet das Abenteuer auch zur Miete an für 120 Euro pro Fahrt. Und wer nach dem offiziellen Saisonende noch immer nicht genug hat, für den halten Karsten Müller und seine Kollegen ein allerletztes Schmankerl bereit. Jeweils am Montag nach dem ersten und dem dritten Advent erreicht man mit dem »Tatra-Prototyp« von 1972 die Weihnachtsmärkte in Potsdam. Dieser »Glühwein-Express« verkehrt am 28. November und am 12. Dezember ab Potsdam Hauptbahnhof jeweils von 13.25 bis 17.15 Uhr.
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