Portugal ist auf die Straße gerufen
Generalstreik gegen schmerzhafte Einschnitte in Sozial-, Bildungs- und Gesundheitssystem
Sparen ohne Ende: Das Programm der konservativen portugiesischen Regierung stößt auf wenig Gegenliebe. Kein Wunder, beziehen doch knapp 40 Prozent der portugiesischen Arbeiter Monatslöhne von unter 600 Euro. Das lässt auch die Gewerkschaften nicht kalt: Sie wenden sich mit dem Generalstreik am heutigen Donnerstag gegen den Haushalt 2012, in dem neue harte Einschnitte im Sozial-, Bildungs- und Gesundheitssystem vorgesehen sind und der in der nächsten Woche verabschiedet werden soll. Steuern sollen weiter angehoben werden, Beschäftigte im öffentlichen Dienst sollen auf das Urlaubs- und das Weihnachtsgeld verzichten.
Genau vor einem Jahr hatten die beiden großen Gewerkschaftsverbände Portugals erstmals nach zwei Jahrzehnten wieder gemeinsam gestreikt, um sich gegen die Sparpolitik der Sozialisten (PS) zu stemmen, die zaghafter und sozial ausgeglichener war. Doch die PS-Minderheitsregierung wurde kurz darauf von den Konservativen gestürzt. Die PSD unter ihrem Parteichef Pedro Passos Coelho wollte die Sparpläne nicht mehr mittragen und drängte selbst mit Erfolg an die Macht.
Viele Portugiesen fühlen sich nun jedoch von dem 47-jährigen Wirtschaftswissenschaftler Coelho verraten. Statt mit dem Sparkurs zu brechen, verschärfte er ihn noch weiter und will unter anderem die Mehrwertsteuer, die relativ die Ärmsten am stärksten trifft, auf den europäischen Höchstsatz von 25 Prozent anheben.
Erneut gehen die beiden großen Gewerkschaftsverbände, die große kommunistisch dominierte CGTP und die sozialdemokratische UGT, gemeinsam auf die Straße. Anders als vor einem Jahr wird der Streik nun auch von den Sozialisten unterstützt, die befürchten, dass Coelho das Land tief in die Rezession spart. In einem Manifest rufen der ehemalige Ministerpräsident Mário Soares und andere bekannte Persönlichkeiten die Bevölkerung zum Streik auf. Man könne nicht seelenruhig der »internationalen Finanzanarchie und der Demontage der Staaten« zuschauen, heißt es in dem Manifest, das auch der frühere Wirtschaftsminister Vasco Vieira de Almeida unterzeichnet hat. Kritisiert wird die Demontage des Sozialstaats, durch die viele Menschen in die Verzweiflung getrieben werden. Vor allem Arbeitslose, Mittellose und alte Menschen litten unter den harten Einschnitten. Die Arbeitsverhältnisse würden immer prekärer und es wachse eine Jugend ohne Perspektive heran, die in die Emigration gezwungen werde. Einschnitte ins Bildungssystem zerstörten zudem die Zukunft Portugals. Gewarnt wird auch vor der Privatisierung von Staatsbetrieben, die »eine grundlegende strategische Bedeutung für die Souveränität« des Landes haben. Die Gewerkschaften erwarten eine starke Beteiligung, die in allen größeren Städten das Transportwesen weitgehend lahmlegen soll, weil sich auch Sektorengewerkschaften der Metro- und der Busgesellschaft in der Hauptstadt Lissabon und in Porto angeschlossen haben. Internationale Reiseveranstalter warnten am Mittwoch, dass es zu Ausfällen und Verspätungen im internationalen Flugverkehr kommen werde.
Möglich sind auch handfeste Konflikte, weil die Regierung den Streik mit einem Notdienst auszuhebeln versucht. So sollen zum Beispiel noch 50 Prozent aller Busse fahren. Das lehnen die Gewerkschaften ab. »Das Streikrecht der Arbeiter kann nicht unterlaufen werden und die Arbeiter können keine Gesetzwidrigkeiten akzeptieren«, sagte CGTP-Generalsekretär Manuel Carvalho da Silva. UGT-Chef João Proenca hält die Maßnahme für »inakzeptabel« und appelliert an die Regierung, sie zu überprüfen. Sogar hochstehende Militärs finden klare Worte. »Eine Bande von Lügnern hat die Macht ergriffen«, sagte der pensionierte Oberst Vasco Lourenco, während der portugiesischen Nelkenrevolution 1974 einer der führenden Köpfe der Bewegung der Streitkräfte (MFA). Er forderte das Volk zum Widerstand auf und warnte: »Das Militär steht an der Seite des Volkes.« Die Regierung solle sich hüten, »die Sicherheitskräfte gegen die protestierenden Menschen zu instrumentalisieren«.
Ohnehin haben kürzlich auch Polizisten und andere Beamte in der Hauptstadt gegen die Sparpolitik demonstriert. Dass die Regierung mit ihrer Politik das Land konsolidiert, wird immer fraglicher. Zwar gibt sich die Troika aus EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds überzeugt, dass Portugal nach den 78 Milliarden Euro aus dem Rettungsfonds kein neues Geld benötigt. Doch das wird bezweifelt. Carlos Costa Pina, ehemaliger Staatssekretär im Finanzministerium, erwartet, dass das Land weitere 20 bis 25 Milliarden Euro benötige, weil es nicht wie erhofft an die Finanzmärkte zurückkehren könne. Unter dieser Bedingung aber sei das Programm gestaltet worden. Costa Pina hatte für die damalige PS-Regierung mit der Troika verhandelt. Nun zeichnet sich ab, dass nach Griechenland auch Portugal eine zweite Nothilfe und eventuell einen Schuldenschnitt benötigt.
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