»Es war einmal« ohne Zuckerguss

Am Sonntag startet die Märchenhütten-Saison im Monbijoupark

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 3 Min.
Sieben auf einen Streich
Sieben auf einen Streich

Diesmal spielt sich alles auf höchster Ebene im Monbijoupark in Mitte ab. Zur großen Märchenhütte mit 99 und der Blauen Hütte mit 78 Plätzen wurden das Refugio di Napoli für die heiße Holzofenpizza und die Krippe aus Neapel auf das Bunkerdach gewuchtet. Hier gibt es außerdem ein Modell des Schlosses Monbijou zu sehen. Die zwei Logen des im Winter demontierten Amphitheaters sind zur weihnachtlichen Illumination zwischen die Hütten montiert.

Mit dem ersten Advent beginnt am Sonntag offiziell die Saison 2011/2012 der Märchenhütte. Bis Ende Februar werden 111 Märchenfiguren auf der Bühne sein. Eingespielt haben sich die Schauspieler bereits seit einer Woche. Davor konnte man Regisseur Jan Zimmermann die Hütten dauernd wechseln sehen. In beiden wurde parallel geprobt.

Zu den 14 Schauspielern für 22 Märchen kamen in diesem Jahr 4 neue Darsteller. Denn inzwischen gibt es in der fernen Provinz eine dritte Hütte. Am Römerberg in Frankfurt am Main, wo eine neue Altstadt entstehen soll, wurde sie aufgebaut und soll auch dort bei Kakao und Glühwein bei märchenhafter Atmosphäre Kälte vertreiben. Sicher ist noch nicht, ob der Humor, durch den die Hexenkessel-Mimen geprägt sind, dort auch so gut ankommt wie hier. Aber was beispielsweise Hase und Igel treiben, Hans im Glück anspornt oder den Fischer un sin Frau auf den Boden der Tatsachen zurückbringt, wird man garantiert in der Finanzstadt nachvollziehen können.

Die neue alte Hütte »reiste« wie die anderen zwei von der polnisch-ukrainischen Grenze an. Zur Geschichte dieser Bauten und ihrer Bewohner gibt es von der Hexenkessel-GmbH noch keine Neuigkeiten. Man weiß, dass darin arme Leute wohnten, hauptsächlich jüdische Familien. Mehr fand man noch nicht heraus. Bei der Vielzahl der Besucher in den zwei Berliner Märchenhütten lässt sich aber hoffen, dass vielleicht auch aus dem Publikum sachdienliche Hinweise kommen. Bisher wurde es ja nicht danach gefragt

Mit den von Zimmermann inszenierten Grimm'schen Märchen bleibt alles beim Alten. Was dieses Kulturerbe auf der kleine Bühne lebendig werden lässt, meistern die Schauspieler ohne technische Finessen. Da bekommt der Vorhang einen Gürtel und wird damit zum Körper eines Riesen. Ein paar kleine Requisiten wie Tisch oder Topf reichen aus in dieser Märchenwelt. Ja gut, die böse Stiefmutter von Aschenbrödel darf unter einer kleinen Discokugel tanzen. Das ist's dann auch.

Über Märchen in der Weihnachtszeit haben kürzlich Intendanten von deutschen Kinder- und Jugendtheatern auf Initiative des Deutschen Kinder- und Jugendtheaterzentrums diskutiert. Die Meinungen gingen dabei weit auseinander, reichten vom üblen Beigeschmack, mit alten Kamellen Geld einspielen zu müssen bis zur Freude an selbst geprägten, ohne »Zuckerguss« inszenierten Fassungen.

Dass Märchen nicht antiquiert gezeigt werden müssen, beweist der Erfolg der Märchenhütte. Zimmermann kitzelt für die 20-minütigen Fassungen, von denen immer zwei in einem Block gezeigt werden, das Wesentliche heraus. Motive und Charaktere sind gut gezeichnet. Dabei wurde deutlich, welche der Grimm'schen Werke in der heutigen Rezeption Kinder- und welche mehr so genannte Hausmärchen für Erwachsene sind. In der Märchenhütte wird das sauber getrennt. Märchen von der ganz harten Sorte avancierten sogar zur Gruselvariante ab 18 Jahren.

Für Erwachsene soll es im Januar eine Premiere geben. Das 23. Märchen ist »Gevatter Tod«. An der Geschichte ist seit seiner Entstehung viel gewerkelt worden. Mal sind Gott, Tod und Teufel drin. Dann flog der Teufel raus. Mal gibt es kein gutes Ende, dann doch. Wir können also gespannt sein, zu welcher Fassung mit dem Dürrbeinigen Regisseur Zimmermann greift. Ahnen kann man es. Er wählt nie den einfachen Weg.

Märchenhütte, Monbijoustr. 1, Mitte, Tel.: (030) 288 86 69 99, www.maerchenhuette.de

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