Wodka in Flammen

Eine große Retrospektive würdigt den polnischen Regisseur Andrzej Wajda

  • Kira Taszman
  • Lesedauer: 4 Min.
Szene aus »Der Kanal«
Szene aus »Der Kanal«

Nachdem er den kommunistischen Funktionär erschossen hat, fällt Maciek selbst dem Gewehrfeuer einer Militärpatrouille zum Opfer: Er verreckt auf einer Müllhalde, sein junges Leben sinnlos vergeudet. Andrzej Wajdas Schwarz-Weiß-Meisterwerk »Asche und Diamant« (1958) ist ein Film der Kontraste und teilt seine Helden doch nicht schematisch in Gut und Böse ein. Das Drama handelt von Maciek, einem jungen Kämpfer der Polnischen Heimatarmee (des bürgerlichen Widerstands gegen die Deutschen), der im Warschauer Aufstand gekämpft hat. Nun stemmt er sich im Mai 1945 gegen die sich anbahnenden neuen Machthaber, die polnischen Kommunisten, und wird dabei zum Terroristen und Mörder.

Das Thema des Zweiten Weltkriegs zieht sich als roter Faden durch das Leben und Werk des 1926 als Sohn einer Lehrerin und eines Offiziers geborenen Andrzej Wajda. Sein Vater wurde Opfer der sowjetischen Kriegsverbrechen in Katyn, er selbst kämpfte als sehr junger Mann im polnischen Untergrund. Themen wie den antinazistischen Widerstand, die Nachkriegsepoche in einem tief gespaltenen Land, aber auch das schwierige Verhältnis zwischen katholischen und jüdischen Polen hat er immer wieder neuen Reflexionen unterzogen. Eine große Retrospektive, die zeitgleich im Arsenal, dem Zeughauskino und den Hackeschen Höfen stattfindet, bietet Berlinern jetzt die Gelegenheit, sich mit bekannten und weniger bekannten Filmen des großen polnischen Regisseurs und »Oscar«-Preisträgers (erneut) zu beschäftigen.

Stets zeichnete sich Wajda auch durch seine Treue gegenüber einer Handvoll Schauspielern wie Daniel Olbrychski, Krystyna Janda oder Wojciech Pszoniak aus. Wajdas anfänglicher Lieblingsschauspieler, der attraktive Zbigniew Cybulski, auch bekannt als »der polnische James Dean«, avancierte mit der Rolle des fanatischen und später an sich selbst zweifelnden Maciek von »Asche und Diamant« zum Jugendidol. Dem bei einem Zugunfall jung verstorbenen Schauspieler setzte Wajda später mit »Alles zu verkaufen« (1969) ein Denkmal. Der Film im Film setzt sich mit dem Kino-Business auseinander, mit dem Umgang und Missbrauch des Regisseurs gegenüber seiner Crew und seiner Verantwortung gegenüber dem Publikum.

Mit sozialistischem Realismus hatte Wajda nie viel am Hut. Schon sein Frühwerk der 1950er Jahre arbeitet lieber mit Symbolismus und Allegorien als mit dem Entwurf eines idealen Menschen. So stehen in »Asche und Diamant« angezündete Wodkagläser für die im Warschauer Aufstand gefallene Jugend oder versinnbildlicht eine kopfüber in einer Ruinenlandschaft hängende Christus-Statue neue Werte nach Kriegsende.

Wajda interessiert das Individuum, fiktiv oder historisch, stark oder schwach, freidenkend oder ideologisch geprägt: Seien es die forsche Journalistin oder der rebellische Vorzeigearbeiter in »Mann aus Marmor« (1977) oder der Titelheld aus »Korczak« (1990). Auch Wajdas Klassiker »Der Kanal« (1957) schildert zwar den heroischen Widerstand von jungen Kämpfern im Warschauer Aufstand, doch auch ihre Eifersüchteleien, Familienprobleme und Rivalitäten untereinander. Eindrucksvolle Bilder der Helden, denen die labyrinthische Kanalisation zum symbolischen wie faktischen Verhängnis wird, fesseln und verstören.

Auch in seinem Alterswerk »Das Massaker von Katyn« (2007) vermag Wajda persönliche Schicksale in einen großen historischen Zusammenhang zu stellen: die letzten 15 Minuten des Films zeigen en Detail die Hinrichtung der polnischen Offiziere durch den KGB und gehören zu dem Beklemmendsten, was der internationale Kriegsfilm hervorgebracht hat.

Wajda ist kein Verfechter eines brutalen Realismus à la Kieslowski, und verarbeitet seine Traumata nicht auf mit den Schauervisionen eines Polanski. Bei dem heute 85-Jährigen schwingt auch immer eine Prise nostalgischer oder melancholischer Romantik, manchmal auch Übertreibung und Folklore, mit - so zu sehen in seinen großen Epen (»Pan Tadeusz«, 2000). Gleichzeitig zeigt ein Historienfilm wie »Danton« (1983) - ein grandioses Schauspielerduell zwischen Gérard Depardieu als Danton und Wojciech Pszoniak als Robespierre - die Wiederholung von Geschichte auf: Der jakobinische Politprozesses ist hier nichts anderes als ein stalinistischer Schauprozess.

Doch die Werkschau stellt auch den heiteren, den beschwingten und vor allem auch modernen Wajda vor, der stets ein großes Gespür für die Gefühlslage der Jugend besaß: So bevölkert das sehr schöne Beziehungsdrama »Die unschuldigen Zauberer« (1960) eine jazzbegeisterte Jugend voller amouröser (W)Irrungen - inklusive einer verwegenen Partie Strip-Poker.

»Andrzej Wajda - Bekannt und unbekannt«, vom 2.12. bis 30.12; Programm auf www.berlin.polnischekultur.de

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