An Rhein und Rhône drückt es von unten
Nicht nur ökonomisch geht ein Riss durch Europa. Geologisch allerdings droht erst in Millionen Jahren die Spaltung
Ob Europa wohl zusammenhalten wird? Diese Frage beschäftigt derzeit ganze Kompanien von Finanzmarkt- und Wirtschaftsexperten. Doch die Sprengkraft der Schuldenkrise ist - energetisch gesehen - ein Kinkerlitzchen gegenüber jenen Kräften, die den Kontinent Europa von Südfrankreich bis hinauf in den norwegischen Oslo-Fjord zerreißen könnten.
Der wannenartige Grabenbruch entlang des Oberrheins zwischen Mainz und Basel ist mit rund 300 Kilometern Länge und bis zu 40 Kilometern Breite ziemlich klein im Vergleich zum Ostafrikanischen Grabenbruch mit seinen 3500 Kilometern. Dennoch gehört der Oberrhein-Graben zu den markantesten Grabenbrüchen weltweit. Als solche bezeichnet man langgestreckte Zonen, wo die Erdkruste durch tief aus der Erde empor drängendes Magma gedehnt und dadurch dünner wird. Die meisten davon finden sich am Meeresboden, wo sich durch rasch erstarrende Magma-Ergüsse entlang von Schwächezonen neue Erdkruste bildet - so etwa am Mittelatlantischen Rücken. Beiderseits solcher Rücken driftet die Erdkruste auseinander, so dass der betreffende Ozean sich weitet.
Doch im Falle des ostafrikanischen Grabenbruchs wie auch beim Oberrheingraben spielt sich das Geschehen nicht Tausende von Metern tief unter dem Meeresspiegel ab, sondern an Land. Der Oberrheingraben ist der zentrale Abschnitt der so genannten Mittelmeer-Mjösen-Zone, einer rund 2000 Kilometer langen Grabenzone vom Mjösen-See in Norwegen über den Oslo-Fjord und den Rhône-Graben bis ans Mittelmeer bei Marseille.
Die Hauptereignisse des Grabenbruchs am Oberrhein fanden vor etwa 20 Millionen Jahren statt, und zwar über einen Zeitraum von nur ein bis zwei Millionen Jahren, vermutet der Erdbebenforscher Ulrich Achauer von der Universität Straßburg. Im Oberrheingraben ist ein mehrere Kilometer mächtiges Deckgebirge aus Sedimentgesteinen eingebrochen, als sich die Erdkruste vor etwa 45 Millionen Jahren (mittleres Tertiär) aufzuwölben begann. Ursächlich dafür könnten die sich auftürmenden Alpen gewesen sein, die ihrerseits emporgehoben worden sind, weil die Afrikanische Erdkrustenplatte nach Norden drängt. Eine andere mögliche Ursache des Grabenbruchs ist ein aus dem Erdmantel aufquellendes, riesiges Kissen aus glutflüssigem Magma, das die Erdkruste emporgehoben und so gezerrt hat - und dies nach wie vor tut.
Die Einbruchtiefe des Grabens wechselt und beträgt etwa vier Kilometer. Allerdings haben sich die Grabenflanken - etwa der Pfälzer- und der Odenwald - zusätzlich aufwärts bewegt, so dass der Begriff Höhenversatz treffender ist. Die eingebrochenen Decksteine des Grabens konnten bei Frankenthal nahe Mannheim selbst durch eine 3335 Meter tiefe Bohrung nicht erreicht werden. Geologen schätzen deshalb, dass sich im Graben seit dem Einbruch eine mehrere Kilometer dicke Schicht mit ungefähr 19 000 Kubikkilometern Sediment (Ton, Schluff, Sand und Kies) abgelagert hat.
Der westliche Ast der europäischen Bruchzone bis nach Norden zum Viking-Graben ist deutlich aktiver als der östliche in Richtung Leinegraben, der offenbar tektonisch eingeschlafen ist. Unter der Eifel hingegen steigt Achauer zufolge nach wie vor heiße Gesteinsschmelze aus dem Erdmantel nach oben, die Gegend ist vulkanisch noch aktiv, wie sich nicht zuletzt an aufsteigenden Kohlendioxid-Bläschen im Laacher See zeigt. Die jüngsten Vulkan-Ausbrüche (Maar-Eruptionen) liegen gerade einmal 10 000 Jahre zurück - geologisch gesehen nur ein Wimpernschlag.
Doch wird Europa entlang des Oberrheingrabens zerreißen? »Be᠆ginnende Grabenbrüche zeichnen sich dadurch aus, dass die Erdkruste dort ausdünnt«, sagt der Geophysiker Birger-Gottfried Lühr vom Geoforschungszentrum (GFZ) in Potsdam. »Und das ist auch im Oberrheingraben der Fall, wo die Kruste nur noch etwa 20 Kilometer dick ist statt üblicherweise 30 bis 33 unter Kontinenten.«
Auch Vulkanismus und Erdbeben gibt es hier: Im Rheingraben hat die Erde in den vergangenen Jahrhunderten mehrmals bedrohlich gewackelt, wie zuletzt am 8. September 2011 mit einem Epizentrum unter der Kleinstadt Goch am Niederrhein. Seismologen rechnen Lühr zufolge »auch für den Kölner Raum mit Beben der Stärke 6 bis 6,5«. Zwar handelt es sich bei den durchaus häufigen Erdstößen zum Glück bisher meist nur um Mikrobeben, doch für den GFZ-Forscher steht fest: »Der Grabenbruch ist aktiv«.
Genaueres lässt sich schwer sagen: »Vieles wissen wir noch nicht, weshalb Aussagen über zukünftige Entwicklungen schwierig sind«, sagt Lühr. »Unser Beobachtungszeitraum ist viel zu kurz, um wirklich verlässliche Aussagen machen zu können. Erdbeben messen wir wissenschaftlich erst seit gut hundert Jahren.«
Zudem gebe es auf der Erde auch Grabenbrüche, »die wieder inaktiv geworden, also quasi eingeschlafen sind«, merkt der Geowissenschaftler an. »Letztlich wissen wir einfach zu wenig, weshalb man auch nicht sagen kann, ob der Rheingraben nun zum Meeresarm wird, ob Europa am Rhein- und Rhônegraben zerreißen und sich auseinanderbewegen wird wie im Falle von Europa und Nordamerika.« Die Entwicklung stehe erst am Anfang, »so dass wir nicht wissen, ob die Sache zum Kätzchen oder doch zum Tiger werden wird«.
Ulrich Achauer hält es für ausgeschlossen, dass Europa entlang des Oberrheingrabens entzwei reißen könnte. »Das ist absolut nicht zu erwarten«, urteilt der Straßburger Seismologe. Zwar sei der Graben - vor allem in seinem südlichen Teil - noch immer der »seismisch aktivste« in Deutschland, jedoch überhaupt nicht mit dem hochaktiven Grabenbruch in Ostafrika gleichzusetzen. Freilich könnte, was nicht ist, ja noch werden. Das Leben eines Geophysikers reicht gerade einmal dazu, eine halbe Sekunde der Erdgeschichte zu beobachten, wenn man diese mit einem ganzen Jahr gleichsetzt.
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