Wasserbetriebe wehren sich

Unternehmen will gegen mögliche Preissenkungsverfügung klagen / Harte soziale Kürzungen drohen

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Den Berliner Wasserbetrieben (BWB) rennt die Zeit davon. Bis zum 11. Januar, also nur vier Wochen, hat das Unternehmen Zeit, um zu dem umfangreichen, 182 Seiten starken Mahnschreiben des Bundeskartellamts, die Trinkwasserpreise zu senken, Stellung zu beziehen. »Das wird eine heiße Weihnacht«, prophezeit der Vorstandsvorsitzende der BWB, Jörg Simon, den Mitarbeitern.
Das Unternehmen will sich aber nicht nur durch weitere Argumente gegen die absehbare Preissenkungsverfügung der Wettbewerbshüter zur Wehr setzen, sondern auch juristisch. Bereits seit März dieses Jahres liegt dazu eine Feststellungsklage der BWB gegen die Anwendbarkeit des Bundeskartellrechts vor, bei der generell die Zuständigkeit der Bundesbehörde angezweifelt wird. Wann die Richter entscheiden, ist allerdings nicht bekannt. Sollte zudem, wie zu erwarten, im ersten Quartal 2012 die endgültige Verfügung, die Preise um 19 Prozent abzusenken, eintrudeln, wollen die BWB auch dagegen zivilrechtlich vorgehen.
Bis die Trinkwasserpreise also tatsächlich purzeln, könnten noch einige Monate vergehen. Dass die Wasserkunden aber demnächst entlastet werden, scheint immer wahrscheinlicher. Bei einem Verbrauch von durchschnittlich 100 Euro im Jahr, rechnete Simon vor, würde jeder Berliner 15 Euro sparen. Die Frage ist aber in diesem Fall, woher die 205 Millionen Euro kommen sollen, die den BWB dann aufgrund der Einnahmeausfälle beim Trinkwasser in den nächsten drei Jahren fehlen würden – also rund 70 Millionen Euro jährlich.
Zur Erinnerung: Im vergangenen Jahr machten die Wasserbetriebe einen Gesamtumsatz von 1,2 Milliarden Euro. Von den 330 Millionen Euro Gewinn gingen nach Steuern jeweils 130 Millionen Euro an die beiden Gesellschafter der BWB. Also an das Land Berlin und anteilig an die privaten Investoren RWE und Veolia, die sich 1999 bei den Wasserbetrieben eingekauft hatten.
Dass das Land Berlin nun allein auf seinen Anteil verzichtet, wäre eine Möglichkeit. Das würde aber nicht unbedingt eine Entlastung für die Berliner nach sich ziehen, wie Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) betont: »Eine Senkung der Wasserpreise bedeutet auch, dass der Berliner Steuerzahler das über den Haushalt mitfinanziert. Das ist ein bisschen wie linke Tasche, rechte Tasche.« Denn in einem solchen Szenario, bei dem der Senat auf einen Teil seiner Einnahmen verzichtet, würden natürlich dafür an anderer Stelle im Haushalt schmerzliche Löcher entstehen, die es wiederum zu Stopfen gilt.
Natürlich könnten theoretisch auch die privaten Investoren auf einen Teil ihrer Gewinne verzichten. Also auf jene umstrittene Gewinngarantie, die Bürgerinitiativen wie der Berliner Wassertisch oder die Wasserbürger seit langem scharf kritisieren und deren Kippen in letzter Konsequenz auch das Ziel des erfolgreichen Volksentscheids war, bei dem im Februar 2011 rund 660 000 Berliner ihre Stimme für die Offenlegung der einst geheimen Wasserverträge abgegeben hatten.
Ein Einlenken der Privaten scheint indes weiter mehr als unwahrscheinlich. Zwar erklärte sich RWE bereits vor längerem bereit, seine Anteile an das Land Berlin zu veräußern. Doch dazu gekommen ist es bisher nicht. Nach dem erwartbaren Beschluss des Bundeskartellamts sind die Chancen für einen Rückkauf auch nicht besser geworden, sagt Finanzsenator Nußbaum.
Fest steht außerdem, dass Veolia auf jeden Fall Teilhaber bleiben will. »Veolia hegt weiter keine Rückzugsabsichten«, bestätigt Konzernsprecher Matthias Kolbeck gegenüber »nd«. Möglicherweise will das französische Unternehmen sogar sein Engagement ausweiten, das legen zumindest Berichte von gestern nahe, nach denen sich der Multi von seiner Verkehrssparte trennen und künftig ganz auf die Bereiche Wasser, Abfall und Energie konzentrieren will. Grundsätzlich, sagt Kolbeck, stehe Veolia aber zur Verfügung, auch mit dem neuen Senat offen über die »Eckpunkte der Wasserverträge« zu reden.
Verbliebe als dritte Möglichkeit, Einsparungen vorzunehmen, die Wasserbetriebe selbst. »Alleine kann das Unternehmen 70 Millionen Euro im Jahr nicht einsparen«, betont Vorstandschef Jörg Simon. Der Personalvorstand der BWB, Norbert Schmidt, frotzelt, dass man bei derzeit 1000 Beschäftigten und Personalkosten von 50 Millionen Euro im Jahr zunächst 200 Leute einstellen müsste, um auf die geforderten 70 Millionen Euro Einsparungen zu kommen.
Dennoch scheint das Unternehmen »drastische Maßnahmen« zu erwägen. 200-300 Mitarbeiter könnten durch Automatisierungen eingespart werden, heißt es. Auch betriebsbedingte Kündigungen wären kein Tabu mehr. Überdies müssten Investitionen überdacht werden. Das klingt, als wenn den Mitarbeitern nicht nur eine »heiße« Weihnacht, sondern ein »heißes« Jahr bevorsteht.
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