Zornschädelröte
Claus Peymann beherrscht Bühnen, Mikrofone, Kanzeln. Er erhält den Lessing-Preis für Kritik
Er ist der Kindskopf und werbewirksame Aufmischer - der im Wesen immer so etwas wie ein idealer Boulevard-Zeitungsmacher blieb. Infernalisch gut gelaunt, wenn er Schlagzeilen hämmern kann. Ein Auf-Macher sozusagen. Ein Groß-Raus-Bringer. Er will geliebt und zugleich gehasst werden. Ein Künstler mit triebhafter Außenwirkung. Aber Anmaßung braucht es schon, wenn einer das Publikum zu Maßnahmen gegen »Notverordnungen« auffordert, mit denen 1968 rebellierende Studenten kujoniert werden sollten. Anmaßung braucht es schon, wenn einer im Stuttgarter Theater zu Spenden für die zahnärztliche Behandlung von Gudrun Ensslin aufruft. Anmaßung braucht es schon, wenn einer Thomas Bernhards Österreich-Attacke »Heldenplatz« just im Wiener Burgtheater am Heldenplatz uraufführt.
Keiner verstand es je besser als Claus Peymann, öffentliche Aufregung auch in Vorfeldern mitunter so zu organisieren, dass diese Erregung in künstlerische Ereignisse hineinwirkte - statt einzig aus ihnen selbst zu kommen. Er ist der Bürgersohn, der Anarchist sein möchte - und der deutsche Urgrund rächt sich, indem er dem Abtrünnigen gern und fortdauernd Röte und Schweiß aufs Gesicht treibt: Wie anstrengend es ist, in diesem Lande Träumer sein zu wollen. Und es zu bleiben.
Er setzte in Frankfurt am Main den frühen bürgerschreckenden Handke durch, gründete mit die Berliner Schaubühne, eroberte Stuttgart, Bochum, brachte (eine wahre theatergeschichtliche Leistung) die meisten Thomas-Bernhard-Stücke heraus.
Überhaupt sein Verhältnis zu lebenden Dichtern. Libidinös! Handke und Turrini, Jelinek und Ransmayr, Heiner Müller und Thomas Brasch. Oder Tabori. Oder Kroetz. Oder jüngst Mark Ravenhill mit seinem Stückangriff gegen das US-Irakkriegsverbrechen. Peymann ist der Regisseur des deutschen politischen Dramas und in dieser Hinsicht Anwalt, Vorkämpfer, Leidensgenosse. Dichter sind das Elixier seiner Selbstmächtigkeit, ihnen gegenüber ist er glücklicher Untertan. Brecht und Lessing inbegriffen.
Er ist aufklärerisch, klar, auf vergrößerte Bewusstheit zielend, weniger aufs Geheimnis. Er ist erregend, manisch in seinem Bekenntnis zum Guten, Wahren, Schönen; noch in jedem Scheitern bleibt er ein Quicklebendiger. Das macht ihn anstrengend, unliebsam, einmalig, so nötig.
Peter Handke forderte »Gerechtigkeit für Serbien« - mit trotzig fuchtelndem Idealismus verließ er den antijugoslawischen Konsens einer selbst ernannten demokratischen Weltöffentlichkeit. Und wie ist er daraufhin vom literarisch-feuilletonistischen Markt begeifert und belächelt worden; auf argumentativer Schwundstufe wurde ihm »Gemeingefährlichkeit« attestiert. Und Peymann? Immer an Handkes Seite.
2003 inszenierte er Brechts »Heilige Johanna der Schlachthöfe« am BE. In der Titelrolle Meike Droste. Welch mitreißendes Identitätsrauschen. Man sah bei Droste: Erkenntnisempfindung. Was Peymann mit Johanna schuf, war der clowneske Ausbau eines über die Welt verdutzten Bewusstseins: bis der Riss durchs Herz zuckt und der falsche, religiös verbrämte Welttrost, dies Kartenhaus, zusammenstürzt. Das polterte noch nach, wenn man das Theater längst verlassen hatte. Alles so, wie Peymann selber ist: So fällt er auf. So fällt er hin. Stehaufpeymännchens Wahrheit: An Güte von oben zu glauben, ist gefährlich, wo Menschen unten doch hauptsächlich damit beschäftigt sind, dran glauben zu müssen. Johanna: »Oh, folgenlose Güte!/ Ich habe nichts geändert./ Schnell verschwindend aus dieser Welt ohne Furcht/ Sage ich euch/ Sorgt doch, daß ihr die Welt verlassend/ nicht nur gut wart, sondern verlaßt/ Eine gute Welt!« Das ist er, der lächerliche Idealismus; dieser ehrenhafteste Grund, als lächerlich zu gelten unter den Geschmeidigen.
Peymann, Doppelkopf: Ist ganz Mime und halb Mimose. Ist als Moralist ein Kasper (Clownsnaseweis!), aber all seine Gaukelei will doch etwas glauben machen: Güte. Wo er kindlich sein will, ist er auch albern, aber mitten im kindischen Spektakel gelingt ihm Erschütterung. Und zornschädeltote Kritik: dass in dieser Welt nicht der Mensch geschieht, sondern vorrangig Herrschaft über ihn.
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