Digitale Fährten
Die Ausstellung Tracing Mobility im Haus der Kulturen der Welt
Der digitale Raum ist kaum zu hören, kaum zu sehen, kaum zu spüren, außer man ist mit ihm selbst verbunden oder bewegt sich gar in ihm. Einen Versuch der Sichtbarmachung des Datenraums im physischen Realraum sowie der gegenseitigen Durchdringung dieser beiden Räume startet die Ausstellung »Tracing Mobility: Cartography and Migration in Networked Space« im Haus der Kulturen der Welt. Ausgerichtet von der Initiative Trampoline versammelt sie Positionen von 16 Medienkünstlern bzw. Medienkunstkollektiven, die im Zeitraum von zwei Jahren in einer Serie von Stipendienaufenthalten, Symposien, Workshops und Ausstellungen zwischen Nottingham, Split, Warschau und Berlin entstanden sind.
Die wohl drastischste Art von Sichtbarmachung stammt vom Wiener Künstler Gordan Savicic. Mit einem Korsett angetan, das mit einem Empfänger für WLAN-Signale ausgestattet ist, spaziert er durch verschiedene europäische Städte. Je größer die Signaldichte ist, also je mehr kabellose Internet-Netze auf der Straße empfangbar sind und je stärker die Signale selbst sind, desto mehr zieht sich das Korsett zusammen. Ein Spaziergang durch Kreuzberg hinterließ deutliche rote Striemen auf dem Körper des Probanden. Der digitale Raum kann Schmerzen zufügen, lautet das Fazit. Savicic lenkt aber auch die Aufmerksamkeit darauf, dass Bewohner von Großstädten sich bereits jetzt beim simplen Spaziergang durch digitale Wolken bewegen und dass ihre Körper von Informationen durchströmt werden.
Einen anderen real-digitalen Körperkontakt stellt die kanadische Medienpionierin Michelle Teran her. In ihrer Arbeit »Folgen« nahm sie die Spur von acht Personen auf, die ins Netz Blogs, Videos und Kommentare einstellten und dabei ihre geografischen Positionen verrieten. Teran vollzog die Bewegungen dieser Personen nach. Sie nahm die Stadt durch ihre Brille wahr und identifizierte die Protagonisten sogar. Die Protokolle ihres »Folgens« breitet sie in Form von Notizen, Fotos und Videos in der Ausstellung aus. Sie räumt elegant mit der weit verbreiteten Annahme auf, dass man sich aus dem Schutz der Anonymität - dem eigenen Wohnzimmer, einem Internetcafé, einem mobilen Internetzugang o.ä. - in die digitalen Welten begeben könnte und malt den Teufel der permanenten Verfolgbarkeit sehr deutlich an die Wand.
Auf die so phänomenalen wie bestürzenden Potenziale des Datenfährten-Lesens weist auch Heath Bunting mit »Status Project: located at Tesco« hin. Auf den Boden der Ausstellungshalle ist schematisch ein Netzwerk von realen, juristischen und künstlichen Personen aufgebracht, die sich durch spezifische Besitztümer und Handlungen auszeichnen und deren Interaktionen ebenfalls notiert und bewertet werden. Mittelpunkt dieses Netzwerks sind Kunden der Supermarktkette Tesco. Die verfügt durchaus über Informationen wie Adresse und Kontonummer, die dann leicht mit Gesundheits-, Telefon-, Bewegungs- und Zahlungsdaten verknüpft werden können.
Einen eher optimistischen Ausblick - in Form eines klugen Nutzens von Bewegung und Bewegungsdaten - wagt das Open_Sailing-Projekt. Es entwickelte ein unbemanntes Segelboot, das Öllachen auf dem Meer ansteuern und selbsttätig saugfähige Netze ausbringen kann, die das Öl aufnehmen könnten. Im begleitenden Symposium wies der Medienwissenschaftler Stefan Heidenreich darauf hin, dass die Auseinandersetzung um die Nutzung von Technologien - als Befreiungs- oder als Dominationsinstrumente - eine der entscheidenden Fragen der Zukunft ist.
Sein Kollege Wolfgang Ernst, ein Schüler des kürzlich verstorbenen Medienwissenschaftsgurus Friedrich Kittler, ließ in seinem Beitrag freilich die meisten Ausstellungsbeiträge in sich zusammenfallen. »Mobilität ist Mathematik. Bewegung, Dynamik und Wechsel sind Termini des vergangenen Jahrhunderts«, meinte er forsch - und wohl auch zurecht. So weit, die Mathematik in den Technologien sichtbar zu machen, sind die Künstler offensichtlich (noch) nicht. Der größte Teil ihres Publikums, der Autor eingeschlossen, aber auch nicht. Zur Selbstermächtigung bleibt dem digitalen Bürger wahrscheinlich nichts anderes als mindestens ein Fernstudium Mathematik übrig.
Bis 12. Dezember, Haus der Kulturen der Welt, Mi.-Mo. 11-19 Uhr, www.hkw.de
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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