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David gegen die Banken-Goliaths

Mit Finance Watch gibt es erstmals eine Lobbygruppe, die sich zum Anwalt der Gesellschaft macht

  • Kay Wagner, Brüssel
  • Lesedauer: 7 Min.
Die Lobbyorganisation Finance Watch ist gerade einmal ein halbes Jahr alt. Aber sie wird bereits europaweit von Dutzenden Nichtregierungsorganisationen unterstützt. Zur Gründung von Finance Watch hatten 22 Abgeordnete des Europaparlaments aufgerufen - über Fraktionsgrenzen hinweg.
Die Gründung von Finance Watch am 30. Juni 2011 geht auf eine Initiative von Europaabgeordneten zurück, die mit der Regulierung von Finanzmärkten und Banken befasst sind. Zu ihnen gehörten unter anderem die Abgeordneten der LINKEN Thomas Händel und Jürgen Klute.

Finance Watch verfügt über ein Budget von zwei Millionen Euro jährlich. Das Budget der Banken und Versicherungen für ihre in Brüssel tätigen 700 Lobbyisten beträgt nach Angaben von Finance Watch 400 Millionen Euro.
Die Gründung von Finance Watch am 30. Juni 2011 geht auf eine Initiative von Europaabgeordneten zurück, die mit der Regulierung von Finanzmärkten und Banken befasst sind. Zu ihnen gehörten unter anderem die Abgeordneten der LINKEN Thomas Händel und Jürgen Klute. Finance Watch verfügt über ein Budget von zwei Millionen Euro jährlich. Das Budget der Banken und Versicherungen für ihre in Brüssel tätigen 700 Lobbyisten beträgt nach Angaben von Finance Watch 400 Millionen Euro.

»Wenn ich mit dem Schiff über den Atlantik will, von Europa nach Amerika, muss ich mir die Frage stellen: Wird es Sturm geben können?« Thierry Philipponnat sitzt am Tisch seines Büros und erzählt. Die Hände des 50-jährigen Franzosen sind ständig dabei. Fast pausenlos wedeln sie von links nach rechts, von oben nach unten. »Die Antwort ist einfach: Ich weiß, dass es Sturm geben kann. Also muss ich mich fragen: Wie bereite ich mich darauf vor? Aber die meisten Banken haben sich diese Frage nicht gestellt. Sie sind einfach losgefahren, ohne Vorsorge gegen Stürme zu treffen. Und jedes Mal, wenn ein Sturm kommt und eine Bank deshalb untergeht, soll der Steuerzahler dafür aufkommen?«

Vom Banker zum Aktivisten

Der Mann, der es während einer 20-jährigen Karriere in der internationalen Finanzwelt bis hinauf zu Posten mit Verantwortung für Milliarden Euro gebracht hat, lehnt sich entspannt zurück. Lang und hager ruht seine Gestalt im Stuhl. Gekleidet ist Philipponnat in einen hellgrauen Anzug. Den Kragen des weißen Hemdes schnürt heute keine Krawatte ein, der erste Knopf ist geöffnet. Freizeitbekleidung heißt das in der Branche, für die er lange gearbeitet hat.

Der Generalsekretär von Finance Watch (FW) ist am Ende seiner Geschichte. Einfach, klar, verständlich hat er gerade etwas erklärt, was man auch viel komplizierter hätte ausdrücken können. »Wir werden in unserer Arbeit auf drei Niveaus kommunizieren müssen: Auf einem sehr technischen, um der Bankenbranche zu zeigen: Wir wissen, wovon wir sprechen. Dann auf einem etwas weniger technischen Niveau, um die Entscheider zu erreichen, die Politiker. Die Finanzspezialisten unter ihnen haben zwar Ahnung, aber im Detail sind sie selten so beschlagen wie die Banker selbst. Und schließlich auf einer noch einfacheren Ebene, um die große Öffentlichkeit zu erreichen. Mit Geschichten wie jener von dem Boot.«

Ob das klappen wird, muss die Zukunft zeigen. Denn lange gibt es Finance Watch, was auf deutsch etwa so viel wie Finanzaufsicht heißt, noch nicht. Am 28. April dieses Jahres wurde die Lobbygruppe als internationaler Verein ohne finanzielle Gewinnabsichten gegründet. Die erste Generalversammlung fand am 30. Juni statt. Das Büro, in dem Philipponnat gerade seine Geschichte erzählt hat, gehört erst seit September dem Verein, und das auch nur auf Mietbasis. Zwei Räume mit drei Arbeitsplätzen bezahlt FW in einem Multibüro, das sich über die dritte Etage eines mehrstöckigen Hauses erstreckt, in dem viele andere Büros der Brüsseler Lobbywelt untergebracht sind. Unter anderem der deutsche Chemieriese Bayer, der französische Mineralölkonzern Elf, die Vertretung des Deutschen Bundestages. »Wir haben aber Potenzial, uns zu vergrößern«, sagt der Chef. Zwei bis drei Jahre werde es dauern, bis man absehen könne, ob Finance Watch richtig laufe - oder möglicherweise doch nicht.

Initiative aus dem Europaparlament

Die Idee zur Gründung des Vereins entstand im Sommer 2010. Insgesamt 22 Europaabgeordnete aus unterschiedlichen Parteien und Ländern riefen damals öffentlich zur Gründung einer Lobbygruppe auf, die in Sachen Finanzfragen nicht die Interessen der Banken, sondern der Gesellschaft vertreten sollte. Diese Politiker hatten es satt, bei allen Fragen rund um die Finanzpolitik immer nur die Meinung der Banken selbst zu hören.

Der Aufruf hatte schnell Erfolg. Aus den 22 Abgeordneten wurden schnell 200 Parlamentarier aus ganz Europa. 40 Nichtregierungsorganisationen (NGO), darunter die Rosa-Luxemburg-Stiftung aus Deutschland, sind heute Mitglieder von FW. Der deutsche Philosoph Jürgen Habermas, der Soziologe Ulrich Beck, der Gründer der größten polnischen Tageszeitung »Gazeta Wyborcza«, Adam Michnik, unterstützen den Verein öffentlich auf dessen Internetseite.

Die enorme Breitenwirkung, die FW mit diesen Namen untermauern kann, steht im Kontrast zu den schlichten Verhältnissen, in denen Philipponnat seine Arbeit beginnt. Seine ersten beiden Mitarbeiter sind erst kürzlich eingetroffen: Cheflobbyist Joost Mulder, 30 Jahre alt, Niederländer und Kommunikationsmanager Greg Ford, 40 Jahre, aus England. »Ich werde eine Zeit pendeln, meine Frau lebt noch auf der Insel, ich werde bald das erste Mal Vater«, sagt Ford. Elf Jahre habe er als Finanzjournalist gearbeitet, spezialisiert auf Hedgefonds. Nachdem er 2008 eine geplante Pause eingelegt hatte und danach seine Arbeit wieder aufnehmen wollte, merkte er, dass sich etwas in der Finanzwelt verändert hatte. Ähnliches erzählt Mulder, der als Finanzlobbyist direkt von der anderen Seite zu Finance Watch gestoßen ist. »Vor vier Jahren spielten die Bürger und ihre Anliegen noch eine Rolle, wenn in der Finanzwelt irgendwas gemacht wurde«, sagt er. Das sei heute nicht mehr der Fall. Banken und Unternehmen der Finanzwirtschaft hätten die Bürger ausgeklammert aus ihren Strategien. Das Klima, in dem er arbeiten musste, habe ihm nicht mehr gefallen. »Deshalb habe ich mich bei FW beworben«, erläutert Mulder.

»Das Arbeiten in der Finanzwelt ist interessant, auch weil es intellektuell ist«, meint Philipponnat. Er stimmt mit seinen Mitarbeitern überein, dass sich die Branche in den vergangenen Jahren gewandelt habe. »Ich habe gesehen, dass es da Sachen gibt, die nicht gut laufen«, sagt der Franzose. Schon Jahre vor der FW-Idee stieg er aus seinem gewohnten Arbeitsumfeld aus, ging 2006 zur Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Dort knüpfte er Kontakte zu anderen NGO, die jetzt zum Teil FW unterstützen.

»Es ist beachtlich, was Thierry in dieser kurzen Zeit schon alles erreicht hat.« Sven Giegold, Europaabgeordneter der Grünen und einer der 22 Politiker, die vor gut einem Jahr zur Gründung eines Vereins wie FW aufgerufen hatten, zeigt sich zufrieden mit dem, was aus der Idee geworden ist. 40 NGO unter einen Hut zu bekommen sei keine leichte Aufgabe. Der erste Auftritt von FW im Europaparlament sei ein Erfolg gewesen. »Die Atmosphäre in der Diskussion hat sich positiv verändert, weil wir erstmals eine kraftvolle Gegenstimme zu den Meinungen der Banker und Wissenschaftler gehört haben«, sagt Giegold.

Gegenwicht zur Lobby der Banken

»Wir Politiker haben die Aufgabe, einen Ausgleich zu schaffen zwischen den Interessen verschiedener Gruppen, und deshalb begrüße ich es ausdrücklich, dass es mit FW jetzt ein Gegengewicht zu der sehr starken Lobby der Banken gibt«, sagt auch Markus Ferber von der CSU, wie Giegold Mitglied im Währungsausschuss des Europaparlaments. Beide glauben, dass trotz der geringen Mitarbeiterzahl - mittelfristig will FW in Brüssel mit zwölf Personen arbeiten, wenn genügend Geld vorhanden sein sollte, - Finance Watch eine Chance habe gegen die Vielzahl der Bankenlobbyisten. »Foodwatch hat auch klein angefangen und kann heute entscheidende Kampagnen führen, wenn es um Fragen der Lebensmittelsicherheit geht«, sagt Ferber. »Der erste große Test steht allerdings noch bevor«, so Giegold abwägend. Wichtige Gesetzestexte zur Finanzaufsicht und Bankenregulierung, in denen es also um zentrale Themen von FW geht, würden bereits im Europaparlament behandelt. Die beste Zeit für den Einstieg in die Lobbyarbeit sei aber, wenn die EU-Kommission die Texte vorbereite. »Thierry und seine Mitarbeiter sind da spät in der Kurve«, schätzt Giegold. Das könne man ihnen aber nicht vorwerfen, weil man FW nicht schneller hätte aufbauen können. Eile sei jetzt dennoch geboten.

Finanzwesen wieder auf seinen Platz stellen

Philipponnat weiß das. Aber er gibt sich zuversichtlich. Auch was die Größe seines Teams betrifft. »Richtig, wir sind nur wenige gegen etwa 700 Bankenlobbyisten hier in Brüssel, aber über unsere Mitglieder erreichen wir gut 100 Millionen Menschen«, betont er. Die Aufgabe der Organisationen, die FW tragen, sei es, die Botschaften zu vermitteln, die im Brüsseler Büro erarbeitet würden.

Hauptziel von FW ist, so erklärt der Exbanker, das Finanzwesen wieder auf jenen Platz zu stellen, den es in einer Demokratie einzunehmen habe. »Profit und Kapital sind wichtig für die Gesellschaft«, sagt er. Doch die Banken hätten ihre Position missbraucht, würden nicht mehr die Wahrheit sagen, eigene Interessen als die Interessen der Gesellschaft ausgeben und die Gesellschaft dann für etwas zahlen lassen, was sie, die Banken, verschuldet hätten. Die Bürger sollen nun für das untergegangene Schiff zahlen, obwohl die Banken selbst vorher nicht darauf geachtet hätten, dass es hochseetauglich ist. »Die Banken führen eine Taktik der Angst, tragen falsche Argumente vor. Und unsere Aufgabe ist es, den Politikern und der Gesellschaft das deutlich zu machen.«

Das Brüsseler Team von Finance Watch: Joost Mulder, Thierry Philipponnat und Greg Ford (von links)
Das Brüsseler Team von Finance Watch: Joost Mulder, Thierry Philipponnat und Greg Ford (von links)
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