»Hoffmann hat sich nichts zuschulden kommen lassen«
Eine rechtsextremistische Wehrsportgruppe und der »Irrtum« des Franz Josef Strauß
Das Zentrum der bundesweit agierenden Gruppe liegt in Franken, auf Schloss Almoshof bei Nürnberg, dann auf Schloss Ermreuth bei Neunkirchen. Hier und auf dem Privatanwesen Hoffmanns werden große Mengen Waffen, militärische Ausrüstung und Fahrzeuge angehäuft.
Der bayrische Ministerpräsident Franz Josef Strauß (CSU) erklärt dennoch unmittelbar nach Auflösung der WSG durch Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP): »Mein Gott, wenn ein Mensch sich vergnügen will, indem er am Sonntag auf dem Land mit einem Rucksack und mit einem mit Koppel geschlossenen Battle Dress spazieren geht, dann soll man ihn in Ruhe lassen. (…) Hoffmann hat sich nichts zuschulden kommen lassen.«
Das ist falsch. Die WSGler sehen sich keineswegs als Mitglieder eines Freizeitvereins, sondern als »Soldaten gegen die rote Flut«. Wenige Monate nach dem Verbot der WSG eskaliert die Situation. Der 21-jährige Geologiestudent Gundolf Köhler zündet am 26. September 1980 auf dem Münchner Oktoberfest eine Rohrbombe und tötet zwölf Menschen, verletzt 211. Auch der Attentäter, ein Gefolgsmann Hoffmanns, stirbt.
Nur wenige Tage vor der Bundestagswahl, bei der Strauß mit Law & Order punkten will, schiebt man die Tat zunächst linken Gruppen in die Schuhe. Als sich das nicht mehr halten lässt, ist von einem »unpolitischen Einzeltäter« die Rede. Neben gravierenden Fehlern bei der Polizeiarbeit sorgt vor allem dieses Agieren dafür, dass sich Spuren zu weiteren Beteiligten und Hintermännern verlieren oder nicht beachtet werden. Neuere Aktenfunde bestätigen jedoch, dass Köhler »fest in einem Milieu militanter Neonazis verwurzelt« war. Darüber hinaus dokumentieren sie, dass er vor seiner Tat in Gesprächen die politische Wirkung eines Bombenanschlags erörtert haben soll. Nach dem Attentat, so Köhler laut Quelle, »könnte man es den Linken in die Schuhe schieben, dann wird der Strauß gewählt«. Das erinnert frappierend an die »Strategie der Spannung«, die zur selben Zeit allein in Italien weit mehr als einhundert Todesopfer fordert und die eng mit »Gladio«, der Stay-behind-Organisation der NATO, verwoben ist. Dort, aber auch in anderen Ländern Westeuropas, werden zahlreiche Attentate von geheimdienstnahen rechtsterroristischen Kräften begangen, von offizieller Seite aber Gruppen der Linken zugerechnet. Ziel ist die Verunsicherung der Bevölkerung und eine Diskreditierung des gesamten linken Lagers. Darüber denkt die »Neue Züricher Zeitung« nach, als sie fragt, »ob der Sprengstoffanschlag am Oktoberfest möglicherweise nicht doch bewusst als ein blutiges Signal zur Wahlkampfbeeinflussung geplant war«.
Eine direkte Verwicklung von »Gladio« in den Münchner Bombenanschlag ist nicht nachgewiesen. Die Erkenntnisse des Schweizer Experten Daniele Ganser von der Uni Zürich legen einen solchen Schluss aber nahe. Denn die zu diesem Zeitpunkt bereits wegen Anschlägen inhaftierten Mitglieder der »Deutschen Aktionsgruppen«, Raymund Hörnle und Sibylle Vorderbrügge - beides Freunde des Attentäters Köhler - sagen einen Tag nach der Tat aus, auch ihnen hätte ein Mann namens Heinz Lembke Waffen und Sprengstoff angeboten und erzählt, dass er Personen im Gebrauch von Sprengstoff ausbilde. Diesem Hinweis gingen die Behörden erst nach, als Waldarbeiter ein knappes Jahr später eines seiner Waffendepots entdecken.
NPD-Mann Lembke ist »Gladio«-Quartiermeister im norddeutschen Raum. In Haft genommen, offenbart er 33 weitere illegale Arsenale. Menge und Qualität deuten auf NATO-Absender hin. Dies kann nicht mehr geklärt werden. Am 1. November 1981, einen Tag vor seiner Vernehmung durch einen Staatsanwalt, wird Lembke erhängt in seiner Zelle aufgefunden. Er hatte umfangreiche Aussagen angekündigt.
Am nächsten Freitag in Teil 4: Mehr über die WSG Hoffmann
Im Internet: www.nd-aktuell.de/rechterterror
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.