Bauen für Hartz IV-Mieter

Konferenz beschäftigte sich mit der Wohnung fürs Existenzminimum

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Revolution geht vom altehrwürdigen Hebbeltheater aus. »Brauchen wir eine Revolution?«, fragte Andreas Ruby, Mitorganisator des von der Rosa-Luxemburg-Stiftung am vergangenen Wochenende veranstalteten Symposiums »Min2Max«. Die Antwort war ein vielstimmiges »Ja«. Vorausgegangen war eine Vorstellung verschiedenster Projekte, die auf die soziale Dimension des Bauens und Wohnens, auf infrastrukturelle und ökologische Aspekte einging und an deren Ende eine Unfähigkeit der Politik, auf diese Ansätze einzugehen, konstatiert wurde.

»Die haben doch Angst, wenn eine Gruppe auf sie zukommt«, meinte Marco Clausen, Mitinitiator der Prinzessinnengärten am Kreuzberger Moritzplatz. Während einige Bauaktivisten noch darauf hofften, dass von unten, von der Basis, auch neue Ideen zu Stadtentwicklung und Wohnungsbau nach oben durchsickern würden, hielten andere die politischen Entscheider zu sehr im Betrieb des eigenen Machterhalts befangen. »Wir hatten in den letzten Jahren eine Links-Links-Regierung. Selbst die hat kommunale Grundstücke oft einfach an den Meistbietenden verkauft und damit Gestaltungsspielraum aufgegeben«, kritisierte der Architekt Oliver Clemens, der für das Mietshäuser Syndikat arbeitet, einen Zusammenschluss alternativer Hausprojekte. Nur eine Revolution könne eine Veränderung herbeiführen, lautete daher das Fazit.

Dieser Moment war der Kulminationspunkt des zweitägigen Kongresses, der sich eine Neubewertung des Wohnungsbaus für Geringverdiener nach der Sackgasse des genormten Plattenbaus als Auftrag gegeben hatte. Zuvor ergab sich anhand der Diskussion einiger Projekte eine komplexe Strategie des Stadtumbaus und der Ermächtigung der Bewohner gegenüber Kapitalinteressen. Eine Stoßrichtung betraf die Rückeroberung des öffentlichen Raums. Matthias Einhoff vom Zentrum für Kunst und Urbanistik stellte gentrifizierungskritische Kunstaktionen im öffentlichen Raum vor. Tim Edler präsentierte seine Idee vom »Flussbad« vor der Museumsinsel. Ein Abschnitt des Spreekanals soll dort zum öffentlichen Bad umgebaut werden. »Das würde Berlin nicht nur zu einer weiteren Attraktion verhelfen, sondern auch für einen neuen Nutzungsmix des monofunktional auf Kulturtourismus setzenden Areals sorgen«, warb Edler für seine Idee. Von der Wasserqualität her sei dies machbar, meinte der Architekt.

Orientierten sich diese Projektideen an sozialer Durchmischung und dem Zugang zur öffentlichen Infrastruktur für alle Einkommensgruppen, so nahm »Min2Max« sich auch des ökonomischen Kernproblems des Bauens und Wohnens an. Das ist zunächst die Eigentumsfrage. Daniela Brahm von ExRotaprint stellte das Modell der gemeinnützigen GmbH des zu je einem Drittel von sozialen Initiativen, Künstlern und kommerziellen Nutzern bewohnten Objekts vor, das durch einen Erbpachtvertrag und Zweckbindung dem Immobilienmarkt entzogen ist. Das Mietshäuser Syndikat, dem derzeit 50 Hausprojekte in der gesamten Bundesrepublik angehören, will dieses Ziel durch eine Doppelstruktur aus Syndikat und GmbH erreichen. Damit soll garantiert werden, dass in kollektives Eigentum überführte frühere Hausbesetzerprojekte auch nach der Verbürgerlichung der jeweiligen Aktivistengeneration weiter den ursprünglichen Zwecken verpflichtet bleiben.

Finanzierungsfragen sprach Christian Schöningh an. »Neubauten von heute müssen der bezahlbare Wohnraum von morgen sein«, forderte der Architekt, der in Berlin die Baugruppenbewegung mitinitiiert hat - und wegen deren meist bürgerlicher Klientel selbst als Protagonist der Gentrifizierung in Kritik geriet. Schöningh wies nach, wie schwierig es ist, für ein Einkommen knapp oberhalb der Armutsgrenze den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestwohnraum zu erbauen, vorausgesetzt, man man halte die EU-weite Forderung ein, dass die Miete nicht mehr als 30 Prozent des Einkommens betragen solle.

Die Forderung, Wohnungen nach ihrem Gebrauchswert und nicht nach ihrem Warenwert zu betrachten, wurde laut. Ein solches Umsteuern dürfte noch revolutionärer sein als der Komplettaustausch der gegenwärtigen Eliten. Denn er setzt einen Bewusstseinswandel in der gesamten Gesellschaft voraus.

Der internationale Blick ernüchterte dann doch ein wenig. Denn es wurden vor allem Initiativen vorgestellt, die zwar sozial und architektonisch interessante Lösungen fanden, den Schritt, von der Ebene der schönen Einzelprojekte zu einer Veränderung der Gesamtgesellschaft zu gelangen, jedoch aus den Augen verloren. Die Referenten waren weit entfernt von dem Selbstbewusstsein der Berliner Protagonisten, das sich an dem Ausspruch Marco Clausens manifestierte: »Wir wollen nicht mehr als Zwischennutzer geduldet sein, sondern als Pioniernutzer Entwicklungen anstoßen.«

Das Symposium war eine Plattform des Aufbruchs, das Interesse enorm. Bis in den zweiten Rang hinauf war das Hebbeltheater lange nicht gefüllt. Das erweckt Hoffnung.

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