S-Bahn-Kollaps in Berlin
Technischer Defekt in Stellwerk sorgte für Stillstand und Chaos
Es war 11.45 Uhr, als für die S-Bahnen im gesamten Netz die Signale auf Rot sprangen. Manche konnten noch bis zum nächsten Bahnhof rollen, andere blieben auf freier Strecke stehen. Tausende Fahrgäste saßen fest. Nur auf einigen östlichen Randstrecken pendelten noch einige Bahnen. Die Bundespolizei musste Menschen aus den unterwegs liegen gebliebenen Zügen evakuieren, aus denen sich viele auch selbst befreiten. Nach etwa zwei Stunden rollten die ersten Bahnen wieder an, mussten jedoch immer wieder stoppen, weil sich noch Menschen auf freier Strecke befanden. Bis zum Abend blieb der S-Bahn-Verkehr unregelmäßig, bei Regional- und Fernzügen gab es bis in den Nachmittag hinein Verspätungen.
Ursache für das Chaos war ein technischer Defekt bei planmäßigen Wartungsarbeiten im elektronischen Stellwerk Halensee, von wo aus die Weichen und Signale eines Großteils des S-Bahn-Netzes gesteuert werden. Warum auch der Fern- und Regionalverkehr betroffen war, konnte ein S-Bahn-Sprecher gestern noch nicht erklären. Einen Anschlag, wie er im vergangenen Mai auf eine Kabelbrücke am Bahnhof Ostkreuz erfolgte, hatte die Bundespolizei bereits frühzeitig ausgeschlossen. Bei den Wartungsarbeiten sei ein technisches Bauteil - ein sogenannter Wechselrichter - zerstört worden, so ein S-Bahn-Sprecher. Ein Ersatz-Wechselrichter habe ebenfalls versagt. Die Arbeiten seien schon 100 Mal gemacht worden, ohne dass es dabei Probleme gegeben habe.
Die Berliner versuchten, auf andere Verkehrsmittel auszuweichen. Die BVG setzte schon ab Mittag so viele Busse, U- und Straßenbahnen wie im Berufsverkehr ein und zählte etwa 100 000 zusätzliche Fahrgäste.
Die Berliner Politik zeigte sich fassungslos über den Totalausfall. »Dass die gesamten Züge der S-Bahn durch einen einzigen Stellwerkdefekt ausfallen, ist kaum vorstellbar«, so Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD). Für die SPD-Fraktion ist der Zusammenbruch »ein Beleg dafür, dass die Bahn mit dem Betrieb der S-Bahn in der Hauptstadt überfordert ist«. Für Harald Wolf, verkehrspolitischer Sprecher der Linksfraktion, zeigt der Zusammenbruch einmal mehr, »wie anfällig das System S-Bahn ist«.
Der Fahrgastverband Igeb nahm die S-Bahn diesmal in Schutz. »Sie ist selbst Opfer des Bahnkonzerns«, so Vize-Chef Jens Wieseke. Für die Stellwerkstechnik sei die Bahn-Tochter DB-Netz zuständig. »Die muss sich fragen lassen, warum bei ihr nicht funktioniert, was in jedem Krankenhaus normal ist - dass bei Stromausfall die Notstromaggregate anspringen.« Seite 9
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!