»Ich habe keine Angst vor Kitsch«
Die chilenische Erzählerin Isabel Allende wird 60
Mit Ende dreißig wurde die Chilenin unversehens vom Laster des Geschichtenerzählens gepackt: »Ich konnte mich nicht mehr stoppen, andere Stimmen sprachen durch mich, ich schrieb in Trance, mit dem Gefühl, ein Wollknäuel zu entwirren.« Das Resultat dieses Trancezustands nannte sie »La casa de los espíritus«, »Das Geisterhaus«. Es war das Jahr 1982.
Zwanzig Jahre später: Man stelle sich vor, jeder Berliner hätte zwei Titel von Isabel Allende im Regal stehen, durchweg jeder, vom Säugling bis zum Greis - so viele ihrer Bücher kursieren allein im deutschsprachigen Raum. Sie wird gelesen und gefeiert wie kaum eine andere Autorin, wird angebetet, hofiert - und geschmäht.
Wo auf einer privaten Werteskala von eins bis zehn würden Sie die »chilenische Scheherazade« einordnen? Dies fragte ich kürzlich ihren Landsmann Roberto Bolaño (Jg. 1953). Bolaño, als Dichter ein zynischer Gegenentwurf der Diva, ohne Zögern: bei 0,5. Das ist gemein, aus Sicht Bolaños (der antrat, die gesamte lateinamerikanische Literatur auf den Kopf zu stellen, gut durchzulüften, den Mief rauszublasen) aber verständlich. Und Recht hat er mit seiner Bemerkung, Frau Allende, die heute 60 wird, gehöre zu den offiziellen Erben von García Márquez & Co.
Ohne den Latino-Boom der späten Sechziger wäre sie als Erzählerin wohl nicht groß geworden. Blühende Phantasie könnte man ihr bescheinigen, überbordende Lust am Fabulieren, ein hohes Maß an Originalität - hätten die Meister des magischen Realismus ihre literarischen Pfade nicht längst schon ausgetreten.
Der Chilenin mit dem berühmten Namen - geboren im Kriegsjahr 1942 in Lima/Peru - war die Rolle der Erbin nie genug. Weshalb sie sich an Márquez maß, sich an ihm rieb. »Hätte eine Frau Garcia Márquez' wundervollen Roman "Die Liebe in den Zeiten der Cholera" geschrieben, wäre er als weichlich, übersentimental bezeichnet worden. Nur Männer dürfen sich den Luxus leisten, auch einmal rührselig zu sein.«
Rührselig? Kritiker haben ihr schon ganz andere Dinge bescheinigt - »Hausfrauenprosa mit Hang zum Höheren«, »Gefühlsdusel« und den Absturz in die »Geisterbahn des schlechten Geschmacks«, begleitet von »Kitsch-Kaskaden«. Frau Allende, kurz und bündig: »Ich habe keine Angst vor ein bisschen Kitsch.« Der Erfolg gibt ihr Recht.
Kratzbürstig sagte sie einmal, die Herren der Dichtkunst in Lateinamerika sähen es lieber, wenn die Damen nur Kinder- und Kochbücher schreiben würden. Isabel Allende versuchte es mit beiden. Mit Kinderbüchern (»Kleine Mäuse und große Mäuse, Ratten und Riesenratten«, »Die Dicke aus Porzellan«) hatte sie schon in den siebziger Jahren Erfolg. Nun sieht es so aus, als kehrte die in Kalifornien lebende Chilenin zurück. Zu Abenteuergeschichten. Zurück zum Ur-Eigenen?
Mein Sohn, zwölf, bekam ihr jüngstes Werk in die Hände - »Die Stadt der wilden Götter«. Toll, rief er beim Lesen imme...
Zwanzig Jahre später: Man stelle sich vor, jeder Berliner hätte zwei Titel von Isabel Allende im Regal stehen, durchweg jeder, vom Säugling bis zum Greis - so viele ihrer Bücher kursieren allein im deutschsprachigen Raum. Sie wird gelesen und gefeiert wie kaum eine andere Autorin, wird angebetet, hofiert - und geschmäht.
Wo auf einer privaten Werteskala von eins bis zehn würden Sie die »chilenische Scheherazade« einordnen? Dies fragte ich kürzlich ihren Landsmann Roberto Bolaño (Jg. 1953). Bolaño, als Dichter ein zynischer Gegenentwurf der Diva, ohne Zögern: bei 0,5. Das ist gemein, aus Sicht Bolaños (der antrat, die gesamte lateinamerikanische Literatur auf den Kopf zu stellen, gut durchzulüften, den Mief rauszublasen) aber verständlich. Und Recht hat er mit seiner Bemerkung, Frau Allende, die heute 60 wird, gehöre zu den offiziellen Erben von García Márquez & Co.
Ohne den Latino-Boom der späten Sechziger wäre sie als Erzählerin wohl nicht groß geworden. Blühende Phantasie könnte man ihr bescheinigen, überbordende Lust am Fabulieren, ein hohes Maß an Originalität - hätten die Meister des magischen Realismus ihre literarischen Pfade nicht längst schon ausgetreten.
Der Chilenin mit dem berühmten Namen - geboren im Kriegsjahr 1942 in Lima/Peru - war die Rolle der Erbin nie genug. Weshalb sie sich an Márquez maß, sich an ihm rieb. »Hätte eine Frau Garcia Márquez' wundervollen Roman "Die Liebe in den Zeiten der Cholera" geschrieben, wäre er als weichlich, übersentimental bezeichnet worden. Nur Männer dürfen sich den Luxus leisten, auch einmal rührselig zu sein.«
Rührselig? Kritiker haben ihr schon ganz andere Dinge bescheinigt - »Hausfrauenprosa mit Hang zum Höheren«, »Gefühlsdusel« und den Absturz in die »Geisterbahn des schlechten Geschmacks«, begleitet von »Kitsch-Kaskaden«. Frau Allende, kurz und bündig: »Ich habe keine Angst vor ein bisschen Kitsch.« Der Erfolg gibt ihr Recht.
Kratzbürstig sagte sie einmal, die Herren der Dichtkunst in Lateinamerika sähen es lieber, wenn die Damen nur Kinder- und Kochbücher schreiben würden. Isabel Allende versuchte es mit beiden. Mit Kinderbüchern (»Kleine Mäuse und große Mäuse, Ratten und Riesenratten«, »Die Dicke aus Porzellan«) hatte sie schon in den siebziger Jahren Erfolg. Nun sieht es so aus, als kehrte die in Kalifornien lebende Chilenin zurück. Zu Abenteuergeschichten. Zurück zum Ur-Eigenen?
Mein Sohn, zwölf, bekam ihr jüngstes Werk in die Hände - »Die Stadt der wilden Götter«. Toll, rief er beim Lesen imme...
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