Zehn Jahre nach dem Beginn der UN-Sanktionen gegen den Irak bröckelt die Front der Sanktionsbefürworter spürbar. Die USA suchen mit »smart sanctions« nach neuen Wegen, die ehemalige Golfkriegs-Allianz zusammenzuhalten. In vielen Ländern haben sich Solidaritätskomitees gebildet, die auf die eine oder andere Weise versuchen, dem sozialen und gesundheitlichen Verfall des Irak und der Not der Bevölkerung etwas entgegenzusetzen. Die deutsche Friedensbewegung allerdings glänzt hier weitgehend durch Nichtverhalten. Das ist sicher auch auf die Politik von »Falschinformationen von Regierungen« zurückzuführen, »die ein wirklichkeitsfremdes Irakbild verbreiten«, wie Hans-Christof von Sponeck es ausdrückt. Die Bundesregierung verfolge eine Politik des »pragmatischen Schweigens«. Den Herausgebern des soeben erschienen Buches »Der Irak - ein belagertes Land« gebührt daher großes Lob. Das Buch trägt hoffentlich dazu bei, das Schweigen über die mörderischen Auswirkungen des UN-Embargos gegen den Irak endlich zu durchbrechen.
Einführende Texte von Norman Paech (Völkerrechtler), Hans-Christof von Sponeck (UN-Koordinator im Irak für das Programm »Öl für Nahrungsmittel« 1998 bis 2000) und Rüdiger Göbel, einer der Herausgeber des Buches, ordnen den Krieg gegen den Irak und das Embargo in die »Neue Weltordnung« ein. Die »düstere Bilanz« zehn Jahre nach dem Golfkrieg betrifft nicht nur den Irak, sondern die ganze Region des Mittleren Ostens.
Die Politik des von den USA und Großbritannien dominierten UN-Sicherheitsrates werde »ernste Folgen für die politische Zusammenarbeit mit dem Nahen Osten in diesem Jahrhundert haben«, warnt von Sponeck. Die »Verknüpfung der wirtschaftlichen Sanktionen mit der Auflage zur Abrüstung« müsse »aufgehoben werden«. Ziel müsse vielmehr sein, dass der Nahe Osten eine Zone ohne Massenvernichtungswaffen sei, so von Sponeck. Er plädiert für Reisen in den Irak, um sich selber zu informieren und dass sich der »Fall Irak nie wiederholen darf«.
Anmerkungen zu den Hintergründen des Golfkrieges folgen von den bekannten US-Amerikanern Ramsey Clark (ehemaliger US-Justizminister) und Noam Chomsky. Chomsky erklärt, dass es der US-Regierung in ihrer Politik gegen den Irak nicht um Menschenrechtsverletzungen unter Saddam Hussein geht, sondern um die Kontrolle des zweitreichsten Ölstaates der Welt und damit um die Kontrolle des Mittleren Ostens. Chomsky belegt, dass die USA in Zeiten massivster Menschenrechtsverletzungen und Massaker (während des Iran-Irak-Krieges gegen Schiiten und Kurden) die Regierung in Bagdad sogar unterstützten.
Es folgen Augenzeugenberichte, aufgezeichnet von Journalisten und Fotografen, die im Irak die Folgen des Embargos und des Krieges für Menschen und Natur dokumentiert haben. Ein Manko des Buches ist, dass zu wenige irakische Stimmen zu Wort kommen. Der Beitrag von Ali Mansoor, Professor für Deutsche Literatur an der Universität in Sanaa, Jemen, ist nur einer von zwei »irakischen« Beiträgen.
Empfehlenswert ist das Kapitel darüber, wie die UN-Sanktionen eigentlich funktionieren und was sie bedeuten. Dass die Herausgeber Beiträge von ehemaligen hochrangigen UN-Mitarbeitern wie Jutta Burghardt (bis März 2000 Leiterin des Welternährungsprogramms im Irak) dokumentieren, ist ein großer Gewinn. Ein Beitrag über die United Nations Special Commission (UNSCOM), die die Waffenvernichtung im Irak überwachen soll, schildert deren Arbeitsmethoden und verdeutlicht, wieso die irakische Regierung sich speziell von dieser Einrichtung provoziert fühlt. Mitherausgeber Joachim Guilliard schließlich kommt zum Fazit, dass Sanktionen (potenzielle) Massenvernichtungswaffen seien und keine »gewaltfreie« Alternative zum Krieg.
Zum internationalen Autorenkollektiv gehören u.a. Journalisten, Ärzte, Vertreter von Nichtregierungsorganisationen, Sozialwissenschaftler, Völkerrechtler und ehemalige UN-Beamte. Entsprechend unterschiedlich ist die Handschrift, das Bild aber dennoch kompakt. Wiederholungen blieben indes nicht aus. So fehlt in fast keinem Beitrag die haarsträubende Antwort der ehemaligen US-Außenministerin Madeleine Albright auf die Frage, ob »die Sanktionen den Preis der halben Million toter Kinder "wert" seien: "Wir meinen, dass sie den Preis wert sind."« Die Arroganz der US-Macht, die nicht nur dem Irak, sondern auch dem UN-Sicherheitsrat ihren Willen aufzwingen will, wird auch im Bericht »Kollateralschäden« des australischen Journalisten und Dokfilmers John Pilgrim deutlich. Zitiert wird der Ex-Vorsitzende des Sanktionsausschusses des Sicherheitsrats, der niederländische UN-Botschafter Peter von Walsum, der auf Pilgrims Frage: »Wieviel Macht haben die Vereinigten Staaten über Ihren Ausschuß?«, antwortet: »Wir handeln im Konsens.« Frage: »Und wenn die Amerikaner dagegen sind?« Antwort: »Dann handeln wir nicht.«
Rüdiger Göbel/Joachim Guilliard/Michael Schiffmann (Hg.): Der Irak - Ein belagertes Land. PapyRossa Verlag, Köln 2001. 200S., br., 28DM.
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