Berlin ist nicht Weimar, aber ...

Historische Anmerkungen zur Gleichsetzung von Rechts- und Linksextremismus

  • Petra Seedorf
  • Lesedauer: 5 Min.
Berlin ist nicht Weimar, aber ...

Die Gleichsetzung des Umfangs rechter und linker Gewalt und die Kriminalisierung der Linken im Vorverdacht, stärkt die Demokratie nicht. Und wenn die gegenwärtige Familienministerin Kristina Schröder Links- und Rechtsextremismus gleichsetzt und sich dabei Rat und Unterstützung ausgerechnet bei Eckhard Jesse holt, der in wissenschaftlichen Kreisen umstritten ist, deutet dies auf nicht sehr viel Weitsicht, geschweige denn Geschichtskenntnisse hin.

»Da steht der Feind und darüber besteht kein Zweifel- der Feind steht rechts!« Diese Worte sagte Reichskanzler Joseph Wirth im Reichstag 1922 nach dem Mord an Walther Rathenau. Der Außenminister war in seinem offenen Wagen auf der Straße durch mehrere gezielte Schüsse tödlich getroffen worden.

Es war eine von Krisen gekennzeichnete Zeit: Der Erste Weltkrieg war verloren, Deutschland hatte hohe Reparationen zu bezahlen, die Inflationsrate galoppierte. Hasserfüllte Polemik richtete sich gegen die Realpolitiker, die den in Deutschland unisono als »Schandfrieden« titulierten Versailler Vertrag zu erfüllen gedachten, sowie gegen die »linke Gefahr«. Politische Morde gehörten zum Alltag. Nicht immer waren die Opfer so prominent wie Rathenau oder Matthias Erzberger. Dem Mord an Rathenau gingen Hetzlieder und Schriften gegen demokratische Politiker, die als »Erfüllungspolitiker« und »Novemberverbrecher« verunglimpft wurden, voran: »Haut immer feste auf den Wirth,/ Haut seinen Schädel, daß es klirrt .../ Knallt ab den Walther Rathenau,/ die gottverfluchte Judensau.« Dies ist nur ein Auszug aus einem in rechtsradikalen, »deutsch- völkischen« Kreisen entstandenen Lied, das neben Menschenverachtung Antisemitismus verrät.

Der Rede Wirths folgten keine Taten. Die Justiz der Weimarer Republik war auf dem rechten Auge blind. Belege dafür lieferte bereits 1923 Emil J. Gumbel mit seiner Schrift »Vier Jahre politischer Mord«. Die Recherchen des Statikers und Gastdozenten der Heidelberger Universität ergaben für die Jahre 1918 bis 1922 insgesamt 376 politisch motivierte Morde, von denen nachgewiesen 354 von rechts verübt wurden, etliche organisiert durch die berüchtigte Organisation Consul, die allerdings weder verboten noch je unter Anklage gestellt wurde. »Tödlich verunglückt« hieß es bei 184 Opfern. Da wurden Gewerkschaftsführer, die mit dem Fahrrad unterwegs waren, in einen Unfall verstrickt und ihre Leichen in Seen versenkt. Im gleichen Zeitraum waren 22 Morde von links begangen worden, wofür 38 Menschen verurteilt wurden, zehn davon zum Tode. Die Morde von rechter Seite blieben weitestgehend ungesühnt. Es gab kein Todesurteil, dafür Freisprüche, in drei Fällen sogar Beförderungen. Von linker Seite gab es keine - auch nicht beim durchaus zur Gewalt bereiten Rot-Front-Kämpfer-Bund (RFB) - vergleichbaren terroristischen Strukturen wie beispielsweise bei der »Organisation Consul«. Obwohl dies offensichtlich war und der Reichskanzler den politischen Standort jener, die die Republik bedrohten, laut benannt hatte, geschah viel zu wenig, um die Gefahr zu bannen.

Erich Mühsam saß im Gefängnis und war genötigt, Bittbriefe zu schreiben, um in eine Zelle verlegt zu werden, in der die Heizung funktionierte; wenn dies nicht möglich sei, solle man ihm wenigstens eine wärmere Decke zugestehen. Das Vergehen des Dichters bestand darin, an der Ausrufung der Münchner Räterepublik beteiligt gewesen zu sein. Er war zu 15 Jahren verurteilt worden, 1924 wurde er nach fünf Jahren Haft amnestiert.

Die Weimarer Republik, der erste demokratische Staat auf deutschem Boden, hat sich nicht genügend vor den wahren Feinden geschützt. General von Seeckt, der Reichswehrminister Noske die Unterstützung der Reichswehr gegen den Kapp-Putsch versagte, wurde nach dem versuchten Staatsumsturz, der am Generalstreik der Arbeiter gescheitert war, Noskes Nachfolger. Hitler wurde nach dem gescheiterten Putsch von 1923 zu nur fünf Jahren Festungshaft (Mindeststrafe für Hochverrat) verurteilt, von denen er lediglich ein paar Monate als privilegierter Häftling absaß. Ludendorff wurde freigesprochen. In den Urteilsbegründungen wurde beider edle nationale Gesinnung gelobt.

1932 kam der Film »Kuhle Wampe« in die Kinos, der sich dem Arbeitermilieu in der Weltwirtschaftskrise widmet und an dem Bertolt Brecht mitgearbeitet hat. Er wurde verboten, weil er angeblich zu Gewalt aufrufe. Harry Graf Kessler, mitnichten linksextrem, sondern ein kluger aufgeschlossener Kunstmäzen und Diplomat, verteidigte den Film und widerlegte den Vorwurf. Vergeblich, der Film wurde nach kurzer Wiederaufführung erneut verboten. Ein in der Weimarer Republik seltener Vorgang, denn die Presse- und Meinungsfreiheit war in der Verfassung garantiert. Weswegen Schriften wie »Die Sünde wider das Blut« von Adolf Dinter, ein antisemitischer »Zeitroman«, oder Hitlers »Mein Kampf« erscheinen durften.

Andererseits musste sich Carl v. Ossietzky als Herausgeber der »Weltbühne« mehrfach vor Gericht verantworten und wurde 1931 zu 18 Monaten Haft verurteilt - wegen Geheimnisverrats. Er hatte in der »Weltbühne« von Deutschlands (heimlicher) Aufrüstung geschrieben.

Obwohl also die Gefahr von rechts erkannt war, wurde sie nicht gebannt. Wie auch, da doch die meisten Richter ihr Amt seit der Kaiserzeit innehatten und nicht gerade Republikfreunde waren. Die Republik hatte es zudem nicht verstanden, wie Erika Mann feststellte, »sich selbst zu propagieren«, also ein demokratisches Bewusstsein zu befördern. Politik und Justiz wurden jedoch nicht müde, die Gefahr von links zu beschwören, weswegen z. B. der RFB im Zusammenhang mit den Reichspräsidentenwahlen 1932 verboten wurde. Auch die SA ereilte damals ein Verbot, jedoch wurde dieses alsbald wieder aufgehoben, während der RFB verboten blieb. Die SA feierte ihren Triumph ausgerechnet mit einer Demonstration durch das Hamburger Arbeiterviertel Altona, was im »Blutsonntag« mündete, 17 Tote forderte und den Anlass für den »Preußenschlag« gab, bei dem die letzte SPD-Landesregierung ihres Amtes enthoben wurde.

Die Schläge gegen links stärkten nachweislich die rechten Kräfte und schwächten letztendlich auch die Demokratie. Wohl bemerkt, es geht nicht um die Verteidigung linker Gewalt. Einen Menschen töten oder Brandsätze zu legen, heißt nicht, eine Idee verteidigen.

Emil Gumbel, wegen der eingangs erwähnten Schrift und seiner pazifistischen Einstellung stark angefeindet, erfuhr 1932 während einer Vortragsreise in den USA, dass er als ordentlicher Professor an der Universität Heidelberg suspendiert sei. Er emigrierte 1933 nach Frankreich und 1940 in die USA. Auch Erika Mann und Joseph Wirth gingen ins Exil. Wirth kehrte nach dem Krieg nach Deutschland zurück. Ihm wurde in der Bundesrepublik keine Rente zuerkannt, wie sie etwa Altkanzler Brüning erhielt, der sich Ostern 1929 in einem Gespräch mit General Kurt v. Schleicher bereit erklärte, als zukünftiger Regierungschef unter Ausnutzung der Artikel 48 und 25 der Weimarer Verfassung die Republik auszuhebeln: »Die Monarchie muß am Ende der Reformen stehen.« Am Ende stand dann die Diktatur Hitlers.

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