Mit dem Hakenkreuz auf die Straße
Nazi-Symbole und Holocaustleugnung sind erlaubt, Diskriminierungsdelikte werden nicht erfasst - übertreibt es Spanien mit der Meinungsfreiheit?
Die zentral in Barcelona gelegene Bücherei Europa bietet nicht viele thematische Regale, die sich auch in anderen Buchläden finden. Das für Philosophie vielleicht, wo neben Erasmus, Hermann Hesse und José Ortega y Gasset ein Yoga-Buch steht. Oder das Kinderregal mit den Tim-und-Struppi-Heften. Vermutlich auch die Sektion Selbsthilfe mit esoterischen Ratgebern. Kategorien wie »Memoiren und Biografien« und »Spanische Geschichte und Bürgerkrieg« gibt es wohl in den meisten spanischen Buchläden - doch dürften die darunter platzierten Werke dort stark abweichen.
»Schauen Sie da mal vorbei«, hatte Miguel Ángel Aguilar gesagt. »Sie passen da rein, blond und blauäugig.« Tatsächlich - andere Läden zeigen sicherlich auch weniger blonde Menschen auf Buch- und CD-Titeln. Das Aufhebens, das in der Bücherei Europa um gewisse Bleichgesichter gemacht wird, ist außergewöhnlich: »Deutscher Akt. Nackte Körperfreude 1920-1945«; »Die großen germanischen Führer«; »Altgermanische Kulturhöhe. Eine Einführung in die deutsche Vor- und Frühgeschichte« - so lauten die deutschen Titel einiger (Bild-)Bände.
Im Viertel gebe es etliche Organisationen, die sehr gegen diesen Buchladen seien, hatte Aguilar gesagt. Unlängst habe es sogar einen Angriff auf den Laden gegeben. Um das zu verstehen, muss man nicht bis zu den hinteren Regalen vorstoßen, wo dicke deutsche Soldatenbücher stehen oder »Die Briefmarken des Dritten Reiches«. Es genügt ein Blick ins Schaufenster. »Die Zerstörung Dresdens. Der wahre Holocaust«, ist da etwa prominent platziert. Das Schaufenster befindet sich in einem Vorraum, der durch eine beeindruckend robuste Metalltür von der Straße abgetrennt wird. Ungeschützt ist nur das Ladenschild. Auf dem ist zu lesen: »Die verfolgten Bücher« und »Die Wahrheit macht uns frei«. Im Vorraum mehrere Aushänge: »Varela, ein einfacher Buchhändler, wurde ins Gefängnis gesperrt« neben »Meinungsfreiheit: Katalonien = China«.
»Verfolgte Bücher« und Holocaustrechtfertigung
»Pedro Varela wurde zwei Mal wegen der Verbreitung von Gedankengut, das den Holocaust rechtfertigt, verurteilt und verbüßt zurzeit diese Strafe«, erklärt Miguel Ángel Aguilar. Die erste Strafe sei noch auf Bewährung gewesen, doch Varela habe das Delikt wiederholt und müsse nun 15 Monate absitzen. Aguilar weiß das so genau, weil er solche Leute hinter Gitter bringt. Seit 2009 koordiniert der 46-jährige Staatsanwalt in der Provinz Barcelona die Ermittlungen zu Diskriminierungsdelikten.
Von wegen »einfacher Buchhändler« - Varela habe Bücher in mehrere europäische und lateinamerikanische Länder exportiert. »Die widmen sich der Verbreitung der nationalsozialistischen Ideologie und rechtfertigen nebenbei den Holocaust«, hält Aguilar fest. Eine weitere Anklage gegen Varela laufe gerade wegen Hitlers »Mein Kampf«, das er unerlaubt vertreibe. Das deutsche Konsulat habe ihn wegen Verletzung geistigen Eigentums angezeigt, denn die Rechte gehören dem Land Bayern.
Im juristischen Streit erreichte die Bücherei Europa jedoch auch eine historische Entscheidung zu ihren Gunsten. 1998 sowohl wegen Leugnung als auch Rechtfertigung des Holocaust verurteilt, trieb sie den Fall bis zum spanischen Verfassungsgericht, das 2007 entschied, dass Holocaustleugnung nicht verfolgt werden darf, weil ansonsten das Recht auf eigene Weltanschauung verletzt würde. Illegal ist also nur die Rechtfertigung des Holocaust, nicht seine Leugnung.
»Meiner Ansicht nach ist das aber sehr schwer zu unterscheiden«, sagt Aguilar in einem Besprechungsraum seiner Behörde. Er wundert sich umso mehr, als die spanische Verfassung von 1978 am deutschen Grundgesetz ausgerichtet worden sei: »Ich verstehe also nicht, warum das deutsche Verfassungsgericht kein Problem mit dem Verbot der Holocaustleugnung hat, das spanische aber schon. Es gibt mehrere Juristen, die sich diese Frage stellen.« So bleibt die Bücherei Europa »ein wirklicher intellektueller Mittelpunkt für das Propagieren von Gedankengut, das den Genozid rechtfertigt«, formuliert der Staatsanwalt. »Es gibt Veranstaltungen etwa mit Führern des Ku-Klux-Klan und der extremen Rechten Europas.«
Eine solche Veranstaltung ist im Vorraum beworben, es geht um negative Auswirkungen von Einwanderung. Auch ein offener Brief des eingesperrten Buchhändlers hängt aus, worin der Ex-Ku-Klux-Klan-Vordenker David Duke, ein berüchtigter Antisemit und Rassist, auf einem Foto mit Varela zu sehen ist. Ein Buch von Duke steht drinnen im Regal »Weltbürgertum/Zionismus«. In dem offenen Brief schreibt Varela: »Fanatische Zionisten wollen über das Schicksal der Nationen entscheiden.«
Das Ladeninnere ist keine vier Meter breit und vielleicht doppelt so lang. Am Ende, in einem Nebenraum, sitzt eine Frau an einem Computer, die, nachdem sie geöffnet hat, sich nicht mehr um den Besuch kümmert. Obwohl Samstagmittag ist, wird in der nächsten halben Stunde niemand mehr die Klingel betätigen. Laufpublikum dürfte der Laden in der kleinen Senecastraße ohnehin nicht haben. Die Verkaufsfläche ist maximal ausgenutzt, die Bücher stehen und liegen dicht in Regalen und auf Tischen. Es liegt aus, was die spanische Rechtslage hergibt: Holocaustleugnung, NS-Devotionalien, Musik-CDs von »Hitlerjugend« oder mit dem Symbol der Waffen-SS. An allen Ecken und Enden Hakenkreuze.
Der Journalist und Autor Joan Cantarero sagte 2010, Spanien sei das einzige Land, wo Hommagen an Hitler und das Tragen eines Hakenkreuzes auf der Straße möglich sind. »Mit einem Hakenkreuz auf die Straße zu gehen, ist nicht verboten«, bestätigt Staatsanwalt Aguilar. »Ideen sind nicht verboten - glücklicherweise. Unser Verfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sagen, dass sogar Ideen vertreten werden können, die der Verfassung und der Menschenrechtskonvention zuwiderlaufen. Was unser Strafgesetz bestraft, ist die Erweckung von Hass, Gewalt und Diskriminierung.« Ein Hakenkreuz stelle an sich weder eine solche Anstachelung dar, noch bedeute es Holocaustrechtfertigung (in Fußballstadien und öffentlichen Institutionen sei es allerdings verboten).
Folglich müssen sich die spanischen Rechtsgelehrten darüber streiten, wo Hassdelikte anfangen. Aufsehen und den Ärger Aguilars erregte eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 3. Juni. Dabei ging es um die Bücherei Kalki, ebenfalls aus Barcelona und mit der Europa vergleichbar. Die hinter ihr stehenden Personen wurden freigesprochen, und zwar mit einem seltsamen Argument.
Verbot nur bei »reeller Gefahr«?
»Das Urteil zu Kalki besagt, dass eine ›reelle Gefahr‹ vorliegen müsse, eine unmittelbare Gefährdung für die Gruppen, gegen die sich alle diese Ideen richten«, erläutert Aguilar. »Wir denken, dass das nicht nötig ist, denn der entsprechende Artikel des Strafgesetzbuches verlangt nicht diese ›reelle Gefahr‹. Der Gesetzgeber hat das Strafgesetz auch zur Prävention gedacht. Zudem finde ich sehr wohl, dass solche Doktrinen eine reelle Gefahr darstellen, denn sie werden massiv verbreitet, gerade auch über das Internet, und können viele Menschen dazu bringen, auf die Straße zu gehen und Menschen schwarzer Rasse anzugreifen. Oder jüdische oder homosexuelle Menschen.« Angefochten werden könne der Freispruch nur noch vorm Verfassungsgericht, was aber zivilgesellschaftliche Organisationen tun müssten.
Aguilar, der das Urteil auch in der Presse kritisierte, kann eine ganze Handvoll Institutionen und Abkommen auf EU- oder UNO-Ebene aufzählen, die der Sichtweise des Gerichts widersprechen - und die die spanische Rechtsprechung eigentlich beeinflussen müssten. Das Urteil ist umso auffälliger, als in der Folgewoche eine andere Kammer des gleichen Gerichts gegenteilig entschied: Das Länder übergreifende Nazi-Netzwerk »Blood and Honour« wurde wegen seiner Hassideologien verboten.
Das weckt Vermutungen zur politischen Ausrichtung des Gremiums, das die von Kalki vertretenen Ideen nicht an sich bestrafen wollte. Doch Aguilar widerspricht rigoros: »Ich bestreite jegliche Art von Sympathie mit den untersuchten Gruppen seitens der Richter. Das ist eine Frage der Gesetzesinterpretation. Unsere Interpretation ist eine moderne, fortgeschrittene, im Geist der internationalen Institutionen und Abkommen. Die Interpretation des Gerichts ist auf der Linie der Entscheidungen der 1990er Jahre. Als die entsprechenden Artikel 1995 ins Strafgesetzbuch aufgenommen wurden, war die soziale Realität eine ganz andere. Wir hatten nicht sechs Millionen Eingewanderte wie heute. Die Gesellschaft war nicht so plural und facettenreich.«
Das Zusammenleben in der neuen Vielfalt müsse nun aber geschützt werden. Aguilar erwartet seit Monaten mit Spannung, ob der Oberste Gerichtshof das Verbot der Gruppe »Hammerskins« bestätigt. Da sich die Urteile aus den Fällen Kalki und »Blood and Honour« widersprechen, hänge es von dieser Entscheidung ab, welchen Umgang Spanien künftig mit Volksverhetzung pflegt: Ein zweites Urteil in die eine oder andere Richtung wird zur verbindlichen Rechtsprechung.
Der erwähnte Autor Joan Cantarero monierte auch, dass es ein Widerspruch sei, Holocaust-Leugnung und NS-Ideologie zu erlauben, während es für das Verbrennen eines Fotos des Königs Gefängnisstrafen geben könne. Staatsanwalt Aguilar weist darauf hin, dass es auf die genauen Umstände ankomme, hält aber fest: »Klar, unser Strafgesetz bestraft Angriffe auf die staatlichen Institutionen, zu denen die Krone gehört.« Warum ist dann aber das öffentliche Abfeiern von Hitler, der für ein bestimmtes Regime steht, kein Angriff auf die Institutionen? »Das ist halt die Zurschaustellung einer Ideologie«, so der eloquente Jurist. Dem widerspricht jedoch, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erst im März Spanien zu einer Geldstrafe verurteilte, weil dessen Gerichte den baskischen Unabhängigkeitsaktivisten Arnaldo Otegi wegen böser Worte gegen den König mit einer Haftstrafe belegt hatten.
Kataloniens oberster Diskriminierungsjäger kritisiert seine Staatsgewalten nur in einem Punkt: »Wir sind einer von fünf EU-Staaten, die keine Statistiken zu Diskriminierung und Hassverbrechen haben. Die Regierung arbeitet jetzt aber daran. In Katalonien gibt es zu Homophobie seit 2009 Statistiken. Und im März 2010 haben wir begonnen, mit der Polizei umfassende Statistiken zu erarbeiten.« Konkrete Aussagen zur Kriminalitätsentwicklung könne man also noch nicht machen. Aguilar will aber »einen Anstieg beim rassistischen und fremdenfeindlichen Diskurs« festgestellt haben.
»Statistiken gibt es bisher nicht, weil das Handlungszwang bedeuten würde.« Joan Cantarero, Jahrgang 1964, formuliert öfters Kritiken dieses Kalibers gegen staatliche Stellen. Er dürfte einer der besten Kenner der spanischen Altnazi- und Neonaziszene sein. Der Journalist arbeitet für Zeitungen und Fernsehen und hat zwei Standardwerke zum Thema veröffentlicht. Aufgrund seiner Aktivitäten - so hat er sich auch schon in Neonazi-Gruppen eingeschleust - waren er und seine Familie Drohungen und Angriffen ausgesetzt, weshalb sie ihren Wohnort gewechselt haben.
Keine Statistiken zu Hassverbrechen
Der in einem zivilgesellschaftlichen Netzwerk »gegen Straflosigkeit« bei Hassverbrechen mitarbeitende Autor kann lange erzählen über die Verbundenheit der rechten Szene im Bundesland Valencia (das als am schwersten von Neonazismus betroffen gilt) nicht nur mit der lokalen Polizei, sondern auch mit höchsten Beamtenkreisen. Und über die neuere Geschichte in diesem Politikfeld: »In diesem Land gibt es viel Angst vor der extremen Rechten - und viel nostalgische Polizei«, so sein Urteil. »Und die Sozialdemokratie ist bei Strafrechtsreformen immer auf halbem Wege stehen geblieben.«
Für den Staatsanwalt Aguilar hat Cantarero sehr viel übrig. Doch dass in einem Rechtsstaat alle Ideologien Platz haben sollten, wie Aguilar meint, findet er nicht. NS-Symbole will er auch nirgendwo sehen: »Ein Symbol steht für eine Ideologie. Es ist, als würde jemand mit einem Messer durch die Straßen laufen und schreien: ›Ich werde alle Roten umbringen!‹ Oder alle Schwarzen. Wir wissen doch, wozu solche Leute fähig sind.« Das Hakenkreuzverbot in den Fußballstadien geht Cantarero zufolge auf die Vereinsvorsitzenden zurück.
Dass Hitler-Verehrungen straflos bleiben, akzeptiert der Antifaschist schon deshalb nicht, weil er mehrere Fälle kennt, wo es für Ehrungen toter Angehöriger der Terrorgruppe ETA sechs bis acht Jahre Haft gab. Gegen Ende des langen Gesprächs bricht es kurz aus dem stets ruhig erklärenden Journalisten heraus: »In diesem Land gibt es so viele Absurditäten!«
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