Ein Kosmos voller Überraschungen
Rund 2000 Jahre nach Jesu Geburt ereigneten sich am Weihnachtshimmel erneut seltsame Dinge
Im Alten und Neuen Testament wird zur Illustration biblischer Mythen auch die Sternenkunde bemüht. So heißt es etwa im Matthäus-Evangelium, dass weise Männer oder Magier (»magoi«) aus dem Osten bei ihrer Suche nach dem neugeborenen König der Juden dessen Stern gefolgt seien. »Und der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, zog vor ihnen her bis zu dem Ort, wo das Kind war; dort blieb er stehen.« Nämlich in Bethlehem, dem Geburtsort Jesu.
Obwohl vieles dafür spricht, dass der »Stern von Bethlehem« den Verfassern der Bibel nur als symbolisches Verkündigungsmotiv diente, wird bis heute versucht, ihm ein reales Himmelsereignis zuzuordnen. Weit verbreitet ist in diesem Zusammenhang eine Hypothese, die der österreichische Astronom und Historiker Konradin Ferrari d'Occhieppo erstmals 1965 formuliert hat. Danach wurde die Geburt Jesu von einer Konjunktion (Begegnung) der Planeten Jupiter und Saturn begleitet, die sich im Abstand von wenigen Monaten im Sternbild der Fische gleich drei Mal wiederholte. Die Weisen aus dem Morgenland hätten folglich genug Gelegenheit gehabt, meint Ferrari d'Occhieppo, diese Himmelserscheinung bei ihrer Reise nach Judäa zu beobachten.
Rund 2000 Jahre nach der vermeintlichen Geburt von Gottes Sohn fand zur Weihnachtszeit erneut ein seltsames himmlisches Schauspiel statt. Ein gewaltiger elektromagnetischer Strahlungsblitz traf am 25. Dezember 2010 den NASA-Satelliten »Swift«, der seit sieben Jahren im Erdorbit nach Relikten kosmischer Explosionen sucht. Der Weihnachten 2010 gemessene Strahlungsausbruch wird den sogenannten Gammablitzen (engl.: Gamma Ray Bursts, GRBs) zugerechnet, die normalerweise nur einige Sekunden oder Minuten dauern und mehr Energie freisetzen als die Sonne in Milliarden Jahren. Da die Erdatmosphäre für solche Strahlung undurchlässig ist, braucht man für deren direkte Beobachtung ein Teleskop im Weltraum.
Aus diesem Grund blieben die Gammablitze dem forschenden Geist relativ lange verborgen. Am 2. Juli 1967 wurden die ersten GRBs von US-Spionagesatelliten aufgefangen und fälschlich mit einem sowjetischen Atomwaffentest in Verbindung gebracht. 1973 fanden Wissenschaftler vom Los Alamos National Laboratory in New Mexico dann heraus, dass die Gammastrahlen aus den Tiefen des Weltalls stammen. Allerdings sind die Mechanismen ihrer Entstehung bis heute nicht vollständig geklärt und der »Weihnachtsburst« des Jahres 2010 (offizielle Bezeichnung: GRB 101225A) gibt den Astrophysikern neue Rätsel auf.
Denn er dauerte über eine halbe Stunde und zeigte ein von der Norm abweichendes Nachglühen. Zur Erklärung: »Nachglühen« bedeutet, dass auf den Gammablitz eine Strahlung folgt, die sich im optischen und Röntgenbereich nachweisen lässt und erst in der Größenordnung von Tagen oder Wochen abklingt.
Bisher haben Astrophysiker vor allem zwei Modelle verwendet, um die Entstehung von GRBs zu beschreiben. Im ersten Modell werden Gammablitze, die länger als zwei Sekunden dauern, auf den Kollaps eines massereichen Sterns zurückgeführt. Das andere Modell knüpft die Existenz von kürzer währenden Blitzen an die Verschmelzung von zwei kompakten kosmischen Objekten. Beides reicht jedoch nicht aus, um die seltsamen Eigenschaften des Gammablitzes GRB 101225A zu erklären.
Es wurden daher jetzt zwei neue Modelle entwickelt, die zeigen, wie komplex die Zusammenhänge in der Himmelsforschung mitunter sind. Ein Wissenschaftlerteam um Christina Thöne vom Astrophysikalischen Institut Andalusiens geht davon aus, dass im besagten Fall ein Neutronenstern (wo in 20 Kilometern Durchmesser die Masse unserer Sonne Platz findet!) mit einem sogenannten Riesenstern im späten Entwicklungsstadium verschmolzen sei. Denn laut Theorie entsteht bei diesem Prozess ein fast lichtschneller, gebündelter Materiestrahl, kurz Jet genannt, der beim Auftreffen auf die Hüllenreste des Riesensterns einen Gammablitz mit einigen jener Eigenschaften erzeugt, die Weihnachten 2010 beobachtet wurden. Die anderen Eigenschaften führen Thöne und ihre Kollegen auf eine zehn Tage nach der Gamma-Explosion einsetzende Supernova zurück und folgern, dass beides in einer fernen Galaxie stattgefunden habe, deren Identität noch zu ermitteln sei (»Nature«, doi: 10.1038/nature10611).
Ganz so weit ins All verlegt Sergio Campana vom Osservatorio Astronomico di Brera (Italien) die Entstehung des Gammabursts nicht. Er und seine Kollegen vermuten, dass in unserer Milchstraße ein Asteroid von der halben Masse des Zwergplaneten Ceres einem Neutronenstern bis auf wenige tausend Kilometer nahe gekommen und dann von Gezeitenkräften zerrissen worden sei. Anschließend hätten die fast lichtschnellen Bruchstücke beim Sturz auf die Sternenoberfläche den gemessenen Gammablitz erzeugt (»Nature«, doi: 10.1038/nature10592).
Obwohl es mit beiden Theorien möglich ist, die erhobenen Daten recht gut zu reproduzieren, kann, wenn überhaupt, nur eine davon richtig sein. Welche das gegebenenfalls ist, lässt sich erst sagen, wenn man die Entfernung des Gammablitzes genauer bestimmt und somit festgestellt hat, ob der Ort seiner Entstehung in unserer Galaxis oder außerhalb liegt. Doch anders als beim »Stern von Bethlehem«, der wohl auf ewig ein Gegenstand für Spekulationen bleiben wird, besteht im Falle des Weihnachtsbursts die berechtigte Hoffnung, dass Astrophysiker dessen Geheimnis irgendwann lüften werden.
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