Wo Rosen versteinert und Kuhfladen heilig sind
Das Berliner »Museum der unerhörten Dinge« ist eine Wunderkammer der (Lügen-)Geschichten
Wenn man Gedankenspiele ausstellen will, muss man das hier tun, mitten zwischen den Hausnummern 5 und 6 in der Crellestraße. Ein schmaler Laden hat sich in den Bauch des herrschaftlichen Gründerzeithauses in Berlin-Schöneberg geschoben. Es ist ein ehemaliger Durchgang, der nun Raum bietet für eine Welt zwischen Fantasie und Realität. Acht Leute warten vor den Scheiben, an der geschlossenen Tür warnt ein Zettel: »Es wird keine Haftung für ihr körperliches oder geistiges Wohl übernommen.« Pünktlich um drei Uhr treten sie ein. »Das Museum der unerhörten Dinge« hat geöffnet.
Drinnen ist es kalt, als sei man gerade auf die Straße hinaus getreten. Und weil es so eng ist, verteilen sich die Besucher gleichmäßig vor den Objekten, die entlang der weißen Wände ausgestellt sind. Das erste Flüstern verstummt schnell, dann wird es still. Alle lesen. Jetzt ist nur Roland Albrecht zu hören, der Holz zerbricht und Feuer in einem eisernen Ofen anzündet. Der 61-Jährige ist der Museumsdirektor. Außerdem ist er der Erfinder und einzige Mitarbeiter. Er ist es, der den Dingen ihre Geschichten entlockt. Sie haben viel zu erzählen: Die laminierten A4-Seiten, die unter den kleinen Gegenständen hängen, sind oft beidseitig vollgeschrieben. Nach drei Minuten verlässt die erste Frau das Museum. Trotz der Stille hatte sie wohl keine Ruhe, um sich auf diese ungewöhnliche Ausstellung einzulassen. Nach weiteren zehn Minuten geht eine Mutter mit ihrem Sohn.
Es sind scheinbar uninteressante Dinge, die hier ihren Platz haben, »unerhörte Dinge«. Weil sie normalerweise übersehen werden und ihnen niemand zuhört. Und weil sie hanebüchene Geschichten erzählen. Wie der vertrocknete Kuhfladen, der auf einem Sockel in der Raummitte steht, auf grünen Samt gebettet. Der Text berichtet von einer »Kuhfladenverehrungsgemeinschaft« in einem Dorf nahe des Lago Maggiore, kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Die Aussteiger wärmten sich die Füße im Fladen, isolierten damit die Wände und heizten die Räume. Sie beteten die Fladen an, verkauften sie als Devotionalien, Elixiere und Aquarelle.
Stehend vor den langen Texten braucht man Geduld, »Lesekompetenz« nennt Albrecht das. Doch vielen scheint es zu gefallen. Auf der Internetseite »Top10Berlin« liegt das Museum auf Platz 8 der zehn kuriosesten Museen. Und im vergangenen Jahr drängten während der Langen Nacht der Museen innerhalb weniger Stunden 1400 Menschen in den schmalen Raum. »Die Leute kommen rein und werden ganz still. Wenn 30 Leute dann nur noch lesen und flüstern - das ist beeindruckend.«
Besonders schön ist es aber, wenn Roland Albrecht selbst die Geschichten erzählt. Die kleine Gruppe, die noch übrig ist, hat sich jetzt um ihn versammelt. Was es mit dem einzelnen Geweih an der Wand auf sich habe, fragt jemand. »Das stammt von einem Rentier aus Lappland, das man 1912 in Portugal erschossen hat. Man wunderte sich, was es so weit im Süden gemacht hat und stellte eine Anomalie im Gehirn fest, die auf das Temperaturzentrum gedrückt hat. Deshalb hat das arme Rentier immer gefroren und ist bis nach Portugal gezogen.«
Roland Albrecht arbeitete lange als Fotograf und Künstler. Das Museum gründete er 1998, als er genug hatte vom Kunstmarkt und sich der Verwertungsmaschinerie entziehen wollte. Seit 2000 hat er diesen Nicht-Raum als festen Ort. Jetzt spielt er mit den Zeichen des Museumsbetriebs, stellt Kuhfladen unter Glasglocken und Scheiben vor Papierrosen, um sie bedeutungsschwer zu machen. Es sind durch Sprudelwasser versteinerte Rosen aus Karlsbad, erzählt er. Unglaublich - aber in diesem Fall wahr, nur hat Albrecht zusätzlich Goethe in die Geschichte gesponnen. Fiktives und Reales fallen bei ihm zusammen. »Viele halten gerade den realen Teil meiner Geschichten für Erfindungen.« Er lächelt. Das tut er sonst nur, wenn man von einem Text aufblickt und verwirrt fragt »Stimmt das?!« Dann dreht er die Augen zur Decke, zuckt vielsagend die Schultern und verzieht ein bisschen den Mund.
70 Dinge hat er im Lauf der Jahre »erhört«, sie werden in wechselnden Ausstellungen gezeigt. Es ist die Lange Nacht der Museen, die ihn jedes Mal zu künstlerischem Schaffen drängt. Drei neue Exponate hat er bis Januar versprochen. Er braucht den Druck. So hat der fordernde Kulturbetrieb also doch seine guten Seiten.
Die noch »unerhörten« Fundstücke liegen in Plastikschubladen im winzigen Hinterzimmer mit Blick auf den Innenhof. Er zeigt der Gruppe eine zottelige Gummikugel mit Augen, die er im Schnee gefunden hat und einen schiefen Holzwürfel. Wenn ihn so ein Ding »findet«, muss es allerdings erst eine Probe bestehen. Er nimmt es mit nach Hause. Und wenn er nach einigen Wochen immer noch einen Bezug dazu hat, kommt es in das Museumsdepot. Hier sind 400 Objekte nach Gewicht sortiert - weil das Gewicht noch keine Zuschreibung ist, sondern eine schlichte Tatsache. »So bleibt die Fantasie frei, die Dinge können noch alles werden.« Im Moment arbeitet Albrecht an »Des Teufels Pferdefuß«. Es ein abgebrochenes Bein, vielleicht von einer Hirsch- oder Pferdefigur, eine knappe Elle lang. Irgendwer hat sie ins Museum gebracht, wollte mehrere Tüten voller Krempel dalassen. Albrecht nimmt so etwas eigentlich nicht an - er geht auch nicht auf Trödelmärkte, sondern wartet, bis ihn die Objekte finden. Das Teufelsbein hat ihn gleich »angesprungen« und er hat es behalten, weil es Assoziationen weckte. Jetzt liest er sich ein, in griechische Mythologie und die Sage über Pan, das Mischwesen aus Mensch und Ziegenbock. Womit er sie verspinnt, wird auf der nächsten Langen Nacht der Museen Ende Januar nachzulesen sein.
Crellestraße 5-6, 10827 Berlin-Schöneberg, Öffnungszeiten ab 11.1.2012: Mi. - Fr. von 15 -19 Uhr
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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